Einkaufsbummel im Rollstuhl in Wiens Einkaufsstraßen nach wie vor hindernisreich

Gesetzliche Übergangsfristen in Sachen Barrierefreiheit längst abgelaufen - Seit der Ersterhebung im Jahr 2014 hat sich die Situation in Wiens Einkaufsstraßen nur geringfügig verbessert.

Wiener Geschäft (Frisör) mit Stufe beim Eingang
BIZEPS

Zu diesem ernüchternden Ergebnis kommt die vom ÖZIV durchgeführte Bestandsaufnahme in 10 Wiener Einkaufsstraßen. Was Betroffene aus ihrer Erfahrung im Alltag vermuten, ist nun auch statistisch belegt.

Der Ablauf der letzten Übergangsfristen nach Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz mit 1. Jänner 2016 hatte leider bei weitem nicht die erhoffte Wirkung. Von der diesjährigen Überprüfung wurden 1.700 Geschäftslokale erfasst, berichtete der ORF und DerStandard. Sie ergab nur einen leichten Anstieg des Anteils von stufenlos zugänglichen Geschäftslokalen, von rund 41 auf 44,5 %.

Das heißt, dass nach wie vor mehr als die Hälfte nicht zugänglich sind. Im Interview mit Radio Wien meint Studienautor Mag. Rudi Maisriml (ACCESS-Berater beim ÖZIV) knapp: „Da hätten wir uns mehr erwartet.“

Ergebnisse im Detail – nach Einkaufsstraßen

Sieht man sich die Ergebnisse genauer an, entdeckt man zudem je nach Standort und Branche gravierende Unterschiede.

Einkaufsstraße 2014 2016 Anzahl der untersuchten Eingänge

Mariahilfer Straße

64 %

70 %

307

Alser Straße

27 %

27 %

120

Josefstädter Straße

23 %

24 %

201

Simmeringer Hauptstraße

25 %

36 %

186

Ottakringer Straße

24 %

26 %

124

Landstraße

41 %

53 %

173

Neubaugasse

39 %

40 %

164

Neulerchenfelder Straße

29 %

29 %

108

Kärntner Straße

60 %

61 %

123

Favoritenstraße

69 %

69 %

162

In der Mariahilfer Straße ist der Anteil von stufenlos zugänglichen Geschäftslokalen nach erfolgter Sanierung von 64 % auf immerhin 70 % gestiegen. In der Landstraßer Hauptstraße im dritten Bezirk sind mit 53 % zumindest knapp mehr als die Hälfte der Geschäfte zugänglich.

Mit 36 % liegt die Simmeringer Hauptstraße noch unter den besten drei der untersuchten Einkaufsstraßen. Absolutes Schlusslicht ist die Josefstädter Straße mit nur 24 %, eine Steigerung von 1 % seit 2014 miteingerechnet.

Ergebnisse im Detail – nach Branchen

Branche

2014

2016

Anzahl der untersuchten Eingänge

Apotheken

53 %

70 %

20

Banken

62 %

71 %

38

Consulting, Beratung, Reisebüro

37 %

36 %

56

Einkaufszentren

93 %

100 %

10

Fachgeschäfte (Elektro, Haushalt, Möbel, Papier …)

38 %

41 %

471

Gasthäuser/Hotel

30 %

35 %

285

Heilmittelbedarf

33 %

75 %

4

Körperpflege (Friseur, Nagelstudio, Solarium, Fitness)

27 %

25 %

111

Lebensmittel (inkl. Bäcker)

50 %

51 %

100

Mode (Schuhe, Kleidung)

51 %

54 %

368

Theater/Kino

29 %

67 %

3

Verschiedenes (Trafik, Wettbüro, 1€-Shop, Putzerei)

38 %

35 %

140

Leerstehend

7 %

38 %

86

Öffentliche Hand (Schulen, Kindergärten…)

k.a

75 %

51

Nach Branchen getrennt zeigt sich folgendes Bild: Anbieter von Hilfsmittelbedarf führen mit 75 % stufenloser Zugänglichkeit die Statistik an, hier muss aber auch erwähnt werden, dass nur 4 Eingänge von der Studie erfasst wurden. An zweiter Stelle stehen die Banken mit 71 %, diese haben eine Steigerung von 9 % seit 2014 zu verzeichnen. Mittlerweile sind 70 % der Apotheken zugänglich, das entspricht immerhin noch einer Steigerung von 7 %.

Es liegt der Schluss nahe, dass, zumindest was den Hilfsmittelbedarf und die Apotheken betrifft, an mögliche Mobilitätseinschränkungen der Hauptzielgruppe gedacht wurde. Gleiches gilt wahrscheinlich auch für den Standort. So scheint, dass in der Nähe von Spitälern oder anderen spezifischen Einrichtungen mehr Wert auf Barrierefreiheit gelegt wird, als anderswo. Dass Einkaufszentren, die als relativ neue Bauten immer schon den höchsten Anteil an Barrierefreiheit hatten, mittlerweile zu 100 % barrierefrei sind, verwundert nicht.

Bedenklich ist, dass in zentralen Bereichen wie dem Lebensmittelhandel (inklusive Bäckereien) und dem Bekleidungshandel nur knapp über 50 % der Geschäfte stufenlos zugänglich sind. Nicht zuletzt hat auch die Gastronomie und Hotellerie noch besonders großen Aufholbedarf.

Wiener Geschäft (Libro) mit Stufe beim Eingang
BIZEPS

Wie schätzt der Studienautor diese Entwicklung ein?

Mag. Rudi Maisriml bringt es gegenüber BIZEPS so auf den Punkt: „Im Untersuchungszeitraum von 2 Jahren gab es insgesamt einen Zuwachs von 3,5 % stufenloser Eingänge. Diese Entwicklung basiert aber im Wesentlichen auf Veränderungen in 3 Straßen. In den übrigen Straßen hat sich nichts verändert.“

Und er ergänzt: „Dieser Effekt bildet sich auch im Vergleich nach Branchen ab. Hier zeigt sich, dass eine Kluft im Entstehen ist – analog einer digitalen Kluft.“

Welches Bild wird sich bei der für 2018 geplanten Überprüfung zeigen?

Maisriml: „Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, kommt es zu einer größer werdenden Kluft zwischen barrierefreien Orten – bestimmte Einkaufsstraßen oder Zentren am Stadtrand – und wenig barrierefreien im Bereich innerstädtischen Nahversorgung“. Der Experte fügt nachdrücklich hinzu: „Dies läuft einer intelligenten Stadtplanung gänzlich zuwider …“.

Bekanntlich sind gerade Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, auf Nahversorgung angewiesen. Die barrierefreien Einkaufszentren befinden sich ja allzu oft am Stadtrand.

Rechtliche Möglichkeiten mehr als bescheiden

Trotz der im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verankerten Grundsätze der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit besteht kein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch. So können Betroffene bisher lediglich Schadenersatz erwirken.

Die Situation wird sich aber erst nachhaltig verbessern, wenn die Lokalbesitzerinnen und Lokalbesitzer das große Potenzial an möglichen Kundinnen und Kunden erkennen. Denn Barrierefreiheit brauchen viele und bequem ist sie für alle.

Wiener Geschäft (Deichmann) mit Stufe beim Eingang
BIZEPS
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3 Kommentare

  • Ich glaube hier können alle noch kräftig lernenauch jene die Gesetze schaffen. Die sollten einfach einmal daran denken, wie schnell man im Rollstuhl landen kann und dann möchte doch nicht überall bitte bitte machen. Aus meinerSich gehören alle öffentlich zugänglichen Einrichtungen barrierefrei gestaltet. Treppen und Stufen gehören beseitigt, müssen entfernt werden bzw. dürfen nicht mehr gebaut werden. Besonders badauerlich ist es immer wieder, daß jene Einrichtun-gen die sich zur sozialen Basis zählen,überwiegend nicht barrierefrei sind. Doch leider hat die Autorengruppe gerade dort nicht hingeschaut. Ich denke hier insbesondere an Kirchen Dome und Kapellen.

  • großartige recherchearbeit! man sollte die daten auf einen flyer packen und großzügig verteilen. an all jene, die uns mit der aussage nerven, es werde schon sehr viel für die behinderten getan, da habe sich doch viel verbessert etc. und man sollte die ergebnisse an die architekten und baumeisterinnung senden. politikern kann man ausnehmen. die kapieren es nicht und kommen mit dem „da muß sich das bewußtsein ändern“ – schmäh.
    nochmals danke für die fakten und eine anregung bzw. bitte: könnte der öziv nicht auch in seinen landesverbänden in den städten ähnliche erhebungen durchführen? ich kenne die situation in klagenfurt, villach, st.pölten, krems, linz und innsbruck recht gut – da ist es zum teil schlimmer als in wien. aber es fehlen systematische erhebungen. ich bin auch gern bereit, bei der einen oder anderen erhebung mitzuarbeiten.

    • Bravo Erwin,
      Du zählst auch zu denen die nicht automatisch zufrieden sind, sondern auch die Unzufriedenheit offen aussprechen. Dein Vorschlag mit den Flyern ist nicht schlecht. Ich hatte, nur Deutschland betreffend, einen nationalen Zugänglichkeitskatalog erstellt, der aber nicht dem datenschutz entsprach, denn ich hatte mir nicht von jedem Inhaber eine schriftliche Veröffentlichung-serlaubnis geben lassen, damit war meine jahrelange Arbeit ein gefundenes Fressen für Abmahner und um deren Geldgier zu befriedigen war ich nicht reich genug. Immerhin habe ich in den 16 Bundesstaaten 1393 Orte abgefragt von jedem Ort eine Katalogseite angelegt, ich habe nicht gezählt wieviele Eintragungen jede Seite bekommen hat aber ich bin davon überzeugt dass in dem Katalog mehr als 50.000 Eintragungen standen. Dieses habe ich in Jahren zusammengetragen und in wenigen Sekunden vernichtet. Aber was soll es, ich bin immer noch bereit mein wissen zu verteilen. Schließlich habe ich massenweise Notizen und auch diverse Druckwerke und die werde ich nicht vernichten. Dein Denken, über die OrteKlagenfurt, villach, st. Pölten, Krems,Linz und innsbruck zu berichten finde ich gut, das wäre doch schon einAStart für einen Österreich-Katalog. Wenn Du das möchtest, dann bin ich gern bereit dir behilflich zu sein, allerdingsfehlte es mir an jeglichen Ortskenntnissen in Österreich. Wenn Du möchtest schick mir einfach eine Mail.