„Freitod“ und „Sterbehilfe“: Persönliche Betroffenheit

Wenn es ums Sterben und den Tod geht, sind wir naturgemäß alle betroffen. Und wir trauern im Laufe unseres Lebens um verstorbene Verwandte und Freunde.

Sterbehilfe
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Wir machen uns über ein schwer krankes Familienmitglied große Sorgen. Wir sind selbst einmal in Lebensgefahr gewesen und haben nur knapp überlebt. Oder wir sind aufgrund einer unheilbaren, vielleicht auch tödlichen Erkrankung mit den Themen Tod und Sterben konfrontiert.

Betroffen sind wir auch, wenn wir zu dieser Thematik einen aufwühlenden Film sehen, ein Buch darüber lesen oder einer Diskussionssendung im Fernsehen verfolgen. Auch die lieben „Professionisten“ können sich hier nicht hinter einem Titel, einer Tätigkeit oder Institution verstecken.

Am 26. Februar 2014 besuchte ich für BIZEPS eine Pressekonferenz der „Initiative Religion ist Privatsache“.

Ein bitterer Nachgeschmack bleibt

Diese fand am Vormittag um 9.30 Uhr statt. Ich war äußerst froh, mit meiner Persönlichen Assistentin unterwegs zu sein, denn der Weg zu dem Presseclub war für meine Verhältnisse mühsam.

Im ersten Bezirk gelegen, mussten wir über holpriges Kopfsteinpflaster fahren. Trotz jahrelanger Rollstuhlfahrpraxis kann ich mich mit einem solchen Untergrund nicht anfreunden.

Ich und mein Rollstuhl haben es ohne ernste Schäden überstanden und ich freute mich, über den barriere-armen Zugang und vor allem über den Aufzug zum Presseclub. Ich war eine der ersten. Gleich zu Beginn wurden mir ein paar Blätter in die Hand gedrückt.

Mein Blick fiel auf die oberste Seite: „Gescheiterte Suizidversuche, Suizide und ‚freiwillige Abschiede‘ in Österreich. Zahlen des Jahres 2012“ und weiter im Text hervorgehoben: „Gescheiterte Suizidversuche alle 9 Minuten einer“ … „Gesamtkosten im Jahr 2,5 Milliarden Euro“. Bei „Gesamtkosten“ musste ich schlucken, das hatten wir doch schon einmal.

Die Pressekonferenz begann und auch ein Filmteam hielt das Gesagte in Ton und Bild fest. Während ich den Vertreter der „Initiative Religion ist Privatsache“ noch einigermaßen sachlich erlebte, war das Referat des Generalsekretärs von Dignitas doch sehr einseitig und ließ mich aufgrund seiner befremdlichen Argumentationsumkehr („wir sind die Lebensschützer“) erschaudern.

Die Zahl der anwesenden Journalisten hielt sich in Grenzen, Fragen wurden nur wenige gestellt. Als einzige Person mit einer sichtbaren Behinderung (Rollstuhl) fiel ich natürlich etwas auf und registrierte auch ein paar irritierende Blicke in meine Richtung. Beim Verlassen des Raumes nahm ich mir noch weitere Unterlagen mit, die sich für mich als vehementer Sterbe“hilfe“gegner, jedoch als „schwere Kost“ erwiesen.

Ich schrieb meiner Assistentin ein kurzes SMS und bat sie, mich abzuholen. In der Wartezeit wollte ich meine Stimmung mit einer Tasse Kaffee von der eindrucksvoll wirkenden Cafeteria etwas aufhellen. Der Kaffee hat dermaßen bitter und für mein Empfinden „grauslich“ geschmeckt, dass ich dann so schnell wie möglich den Presseclub verlassen habe. Der bittere Nachgeschmack sollte mich bis zum Abend und darüber hinaus begleiten.

Emotionen

Ich war viel zu früh im Hörsaal und schon sehr gespannt auf die bevorstehende Diskussion. Auch das rege Interesse an der Veranstaltung fand ich gut, wenngleich außer Dr. Franz-Joseph Huainigg, einer weiteren Rollstuhlfahrerin und mir keine behinderten Menschen anwesend waren.

Doch dann kam noch Oswald Föllerer (People First) und ich freute mich über die Verstärkung. Leider konnte er nicht lange bleiben, aber er hat in unserem Gespräch vorab sehr deutliche Worte bezüglich der Sterbehilfe an Kindern in Belgien gefunden.

Diese ist ihm absolut unverständlich und er lehnt eine solche Praxis vehement ab. Ganz meiner Meinung. Und ich denke, sehr viele Menschen können es nicht nachvollziehen, dass Kindern eine solche Entscheidung zugemutet wird.

Nun, das Podiumsgespräch begann und ich versuchte, diesem so weit wie möglich „sachlich“ zu folgen. Doch im Laufe der Diskussion gab es vom Generalsekretär von Dignitas A.L. Minelli starke verbale Entgleisungen in Richtung Dr. Franz-Joseph Huainigg.

Da ging ein Raunen durch das Publikum. Ich hätte mir hier eine deutlichere Korrektur durch die Moderation erwartet. Als das Publikum in die Diskussion einbezogen wurde, meldete ich mich auch mit einer klaren Positionierung zu Wort. Es war nicht leicht, gegen die Mehrheit (Pro-Sterbehilfe) zu argumentieren. Doch Dr. Franz-Joseph Huainigg hielt sich tapfer und ich versuchte es zumindest auch.

Erkenntnisse

So schmerzlich auch die Diskussion zum Teil war, gewann ich persönlich auch wichtige Erkenntnisse daraus:

  • Es zeigte sich eine zum Teil befremdliche bis perverse Umkehr von Argumenten in der Diskussion (Lebensschutz, Menschenwürde, Selbstbestimmung) durch die Sterbehilfebefürworter.
  • Reflexartig, aber fälschlicherweise wird eine kritische Einstellung gegenüber Sterbehilfe mit Religion und/oder Kirche in Zusammenhang gebracht.
  • Es zeigt sich immer wieder eine große Unwissenheit in der Diskussion (kein kritischer Blick auf Umfragen, Argument „slippery slope“ unbekannt).
  • Die Möglichkeit der Sterbehilfe wird manchmal mit einer Art „Versicherung“ verglichen. Meine Kritik: Es handelt sich um einen theoretischen Fall, ein Umstand, der in Zukunft vielleicht eintreten wird oder auch nicht. Doch reale, praktische Auswirkungen gibt es auf bereits jetzt betroffene alte, kranke, behinderte Menschen. Ihre Zustände und sie als Menschen werden abgelehnt, diskriminiert und ausgesondert. Menschen, die Angst vor Krankheit, Behinderung und Co haben, sollten sich daher mit ihren Ängsten und Einstellungen auseinandersetzen. Und nicht ein Versicherungspaket mit Exit fordern.
  • Es zeigen sich – plakativ gesagt – zwei Fronten: Auf der einen Seite: Menschen, die ihren Tod selbst bestimmen möchten (Recht auf selbstbestimmtes Sterben), die ihre Freiheiten betonen, die sich von Religion, Kirche, Staat keine Vorschriften machen lassen wollen, die Angst vor „Leiden“ und Pflegebedürftigkeit haben. Auf der anderen Seite: alte, kranke, behinderte und/oder besorgte Bürger und Bürgerinnen, die die Sterbehilfe-Debatte als Angriff oder Infragestellung ihres Lebensrechts sehen. Und der ökonomische (Kostenargument) und der soziale Druck (Alltagseuthanasie) stützt dieses Empfinden.
  • Bei der Diskussion ist mit den Hinweis auf die Euthanasie-Verbrechen während des Nationalsozialismus vorsichtig umzugehen. Ich persönlich halte ein Erinnern, eine Auseinandersetzung, eine Warnung durchaus angebracht, aber in der öffentlichen Diskussion ist vielen Pro-Sterbehilfe-Menschen noch nicht klar, wo hier der Zusammenhang besteht. In Einzelgesprächen hingegen kann darauf sehr wohl eingegangen werden und das Argument wird nachvollziehbar.
  • Was es in unserer Gesellschaft auf jeden Fall braucht: eine breite Auseinandersetzung mit diesen Themen. Es braucht einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler und Schülerinnen in allen Schulstufen. Es braucht auch ethische Auseinandersetzungen im Bildungsbereich, auch in der Erwachsenenbildung. Voraussetzung dafür sind die Bereitschaft für eine Auseinandersetzung, genügend Raum und Zeit. Ist unsere Gesellschaft dazu bereit? Dringend notwendig wäre es auf jeden Fall.

Am Ende des Tages ist nicht alles gut, aber es ist ja noch nicht das Ende!

Erschöpft und ziemlich müde verließ ich die zu Ende gehende Veranstaltung. Begriffe, Argumente und alles Mögliche kreisten in meinem Kopf. Und es machte sich auch eine gewisse Traurigkeit breit.

Traurig, dass der Abstand zwischen nicht behinderten und behinderten Menschen noch immer so groß ist, traurig über das reflexartige Auf-Abstandgehen oder Ablehnung von behinderten Menschen. Warum soll mein Leben unwürdig sein? Nur weil ich mich durch meine Erkrankung verändert habe, im Rollstuhl sitze, an Gewicht zugenommen habe?

Am liebsten wäre ich auf die Passanten zugerollt, hätte sie – liebevoll – geschüttelt und gesagt: „Hey, ich lebe trotzdem gerne. Ich und mein Rollstuhl sind ein super Team. Habt keine Angst. Behandelt uns behinderte Menschen doch wie jeden anderen auch.“

Das mit dem Schütteln habe ich dann aber doch lieber gelassen und war froh, als ich zu Hause war. Und morgen fängt ein neuer Tag an. Und, ob ihr es wollt oder nicht: behinderte Menschen haben ein Lebensrecht. Darüber wird sicher nicht (!) diskutiert. Krank? Behindert? Ja und? Behindertes Leben ist buntes, vielfältiges Leben und das ist sehr gut so.

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