„Freitod“ und „Sterbehilfe“: Persönliche Betroffenheit

Wenn es ums Sterben und den Tod geht, sind wir naturgemäß alle betroffen. Und wir trauern im Laufe unseres Lebens um verstorbene Verwandte und Freunde.

Sterbehilfe
BilderBox.com

Wir machen uns über ein schwer krankes Familienmitglied große Sorgen. Wir sind selbst einmal in Lebensgefahr gewesen und haben nur knapp überlebt. Oder wir sind aufgrund einer unheilbaren, vielleicht auch tödlichen Erkrankung mit den Themen Tod und Sterben konfrontiert.

Betroffen sind wir auch, wenn wir zu dieser Thematik einen aufwühlenden Film sehen, ein Buch darüber lesen oder einer Diskussionssendung im Fernsehen verfolgen. Auch die lieben „Professionisten“ können sich hier nicht hinter einem Titel, einer Tätigkeit oder Institution verstecken.

Am 26. Februar 2014 besuchte ich für BIZEPS eine Pressekonferenz der „Initiative Religion ist Privatsache“.

Ein bitterer Nachgeschmack bleibt

Diese fand am Vormittag um 9.30 Uhr statt. Ich war äußerst froh, mit meiner Persönlichen Assistentin unterwegs zu sein, denn der Weg zu dem Presseclub war für meine Verhältnisse mühsam.

Im ersten Bezirk gelegen, mussten wir über holpriges Kopfsteinpflaster fahren. Trotz jahrelanger Rollstuhlfahrpraxis kann ich mich mit einem solchen Untergrund nicht anfreunden.

Ich und mein Rollstuhl haben es ohne ernste Schäden überstanden und ich freute mich, über den barriere-armen Zugang und vor allem über den Aufzug zum Presseclub. Ich war eine der ersten. Gleich zu Beginn wurden mir ein paar Blätter in die Hand gedrückt.

Mein Blick fiel auf die oberste Seite: „Gescheiterte Suizidversuche, Suizide und ‚freiwillige Abschiede‘ in Österreich. Zahlen des Jahres 2012“ und weiter im Text hervorgehoben: „Gescheiterte Suizidversuche alle 9 Minuten einer“ … „Gesamtkosten im Jahr 2,5 Milliarden Euro“. Bei „Gesamtkosten“ musste ich schlucken, das hatten wir doch schon einmal.

Die Pressekonferenz begann und auch ein Filmteam hielt das Gesagte in Ton und Bild fest. Während ich den Vertreter der „Initiative Religion ist Privatsache“ noch einigermaßen sachlich erlebte, war das Referat des Generalsekretärs von Dignitas doch sehr einseitig und ließ mich aufgrund seiner befremdlichen Argumentationsumkehr („wir sind die Lebensschützer“) erschaudern.

Die Zahl der anwesenden Journalisten hielt sich in Grenzen, Fragen wurden nur wenige gestellt. Als einzige Person mit einer sichtbaren Behinderung (Rollstuhl) fiel ich natürlich etwas auf und registrierte auch ein paar irritierende Blicke in meine Richtung. Beim Verlassen des Raumes nahm ich mir noch weitere Unterlagen mit, die sich für mich als vehementer Sterbe“hilfe“gegner, jedoch als „schwere Kost“ erwiesen.

Ich schrieb meiner Assistentin ein kurzes SMS und bat sie, mich abzuholen. In der Wartezeit wollte ich meine Stimmung mit einer Tasse Kaffee von der eindrucksvoll wirkenden Cafeteria etwas aufhellen. Der Kaffee hat dermaßen bitter und für mein Empfinden „grauslich“ geschmeckt, dass ich dann so schnell wie möglich den Presseclub verlassen habe. Der bittere Nachgeschmack sollte mich bis zum Abend und darüber hinaus begleiten.

Emotionen

Ich war viel zu früh im Hörsaal und schon sehr gespannt auf die bevorstehende Diskussion. Auch das rege Interesse an der Veranstaltung fand ich gut, wenngleich außer Dr. Franz-Joseph Huainigg, einer weiteren Rollstuhlfahrerin und mir keine behinderten Menschen anwesend waren.

Doch dann kam noch Oswald Föllerer (People First) und ich freute mich über die Verstärkung. Leider konnte er nicht lange bleiben, aber er hat in unserem Gespräch vorab sehr deutliche Worte bezüglich der Sterbehilfe an Kindern in Belgien gefunden.

Diese ist ihm absolut unverständlich und er lehnt eine solche Praxis vehement ab. Ganz meiner Meinung. Und ich denke, sehr viele Menschen können es nicht nachvollziehen, dass Kindern eine solche Entscheidung zugemutet wird.

Nun, das Podiumsgespräch begann und ich versuchte, diesem so weit wie möglich „sachlich“ zu folgen. Doch im Laufe der Diskussion gab es vom Generalsekretär von Dignitas A.L. Minelli starke verbale Entgleisungen in Richtung Dr. Franz-Joseph Huainigg.

Da ging ein Raunen durch das Publikum. Ich hätte mir hier eine deutlichere Korrektur durch die Moderation erwartet. Als das Publikum in die Diskussion einbezogen wurde, meldete ich mich auch mit einer klaren Positionierung zu Wort. Es war nicht leicht, gegen die Mehrheit (Pro-Sterbehilfe) zu argumentieren. Doch Dr. Franz-Joseph Huainigg hielt sich tapfer und ich versuchte es zumindest auch.

Erkenntnisse

So schmerzlich auch die Diskussion zum Teil war, gewann ich persönlich auch wichtige Erkenntnisse daraus:

  • Es zeigte sich eine zum Teil befremdliche bis perverse Umkehr von Argumenten in der Diskussion (Lebensschutz, Menschenwürde, Selbstbestimmung) durch die Sterbehilfebefürworter.
  • Reflexartig, aber fälschlicherweise wird eine kritische Einstellung gegenüber Sterbehilfe mit Religion und/oder Kirche in Zusammenhang gebracht.
  • Es zeigt sich immer wieder eine große Unwissenheit in der Diskussion (kein kritischer Blick auf Umfragen, Argument „slippery slope“ unbekannt).
  • Die Möglichkeit der Sterbehilfe wird manchmal mit einer Art „Versicherung“ verglichen. Meine Kritik: Es handelt sich um einen theoretischen Fall, ein Umstand, der in Zukunft vielleicht eintreten wird oder auch nicht. Doch reale, praktische Auswirkungen gibt es auf bereits jetzt betroffene alte, kranke, behinderte Menschen. Ihre Zustände und sie als Menschen werden abgelehnt, diskriminiert und ausgesondert. Menschen, die Angst vor Krankheit, Behinderung und Co haben, sollten sich daher mit ihren Ängsten und Einstellungen auseinandersetzen. Und nicht ein Versicherungspaket mit Exit fordern.
  • Es zeigen sich – plakativ gesagt – zwei Fronten: Auf der einen Seite: Menschen, die ihren Tod selbst bestimmen möchten (Recht auf selbstbestimmtes Sterben), die ihre Freiheiten betonen, die sich von Religion, Kirche, Staat keine Vorschriften machen lassen wollen, die Angst vor „Leiden“ und Pflegebedürftigkeit haben. Auf der anderen Seite: alte, kranke, behinderte und/oder besorgte Bürger und Bürgerinnen, die die Sterbehilfe-Debatte als Angriff oder Infragestellung ihres Lebensrechts sehen. Und der ökonomische (Kostenargument) und der soziale Druck (Alltagseuthanasie) stützt dieses Empfinden.
  • Bei der Diskussion ist mit den Hinweis auf die Euthanasie-Verbrechen während des Nationalsozialismus vorsichtig umzugehen. Ich persönlich halte ein Erinnern, eine Auseinandersetzung, eine Warnung durchaus angebracht, aber in der öffentlichen Diskussion ist vielen Pro-Sterbehilfe-Menschen noch nicht klar, wo hier der Zusammenhang besteht. In Einzelgesprächen hingegen kann darauf sehr wohl eingegangen werden und das Argument wird nachvollziehbar.
  • Was es in unserer Gesellschaft auf jeden Fall braucht: eine breite Auseinandersetzung mit diesen Themen. Es braucht einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler und Schülerinnen in allen Schulstufen. Es braucht auch ethische Auseinandersetzungen im Bildungsbereich, auch in der Erwachsenenbildung. Voraussetzung dafür sind die Bereitschaft für eine Auseinandersetzung, genügend Raum und Zeit. Ist unsere Gesellschaft dazu bereit? Dringend notwendig wäre es auf jeden Fall.

Am Ende des Tages ist nicht alles gut, aber es ist ja noch nicht das Ende!

Erschöpft und ziemlich müde verließ ich die zu Ende gehende Veranstaltung. Begriffe, Argumente und alles Mögliche kreisten in meinem Kopf. Und es machte sich auch eine gewisse Traurigkeit breit.

Traurig, dass der Abstand zwischen nicht behinderten und behinderten Menschen noch immer so groß ist, traurig über das reflexartige Auf-Abstandgehen oder Ablehnung von behinderten Menschen. Warum soll mein Leben unwürdig sein? Nur weil ich mich durch meine Erkrankung verändert habe, im Rollstuhl sitze, an Gewicht zugenommen habe?

Am liebsten wäre ich auf die Passanten zugerollt, hätte sie – liebevoll – geschüttelt und gesagt: „Hey, ich lebe trotzdem gerne. Ich und mein Rollstuhl sind ein super Team. Habt keine Angst. Behandelt uns behinderte Menschen doch wie jeden anderen auch.“

Das mit dem Schütteln habe ich dann aber doch lieber gelassen und war froh, als ich zu Hause war. Und morgen fängt ein neuer Tag an. Und, ob ihr es wollt oder nicht: behinderte Menschen haben ein Lebensrecht. Darüber wird sicher nicht (!) diskutiert. Krank? Behindert? Ja und? Behindertes Leben ist buntes, vielfältiges Leben und das ist sehr gut so.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Kommentare

  • @Yasemin:
    Ich will nur aufzeigen, dass die Politik sich M.E. entshciende muss. Will sie Sterbehilfe sogar per Verfassungsfestschreibung verbieten, und dann auch die nötigen fianziellen Mittel aufbringen um ein Sterben in würde zu ermöglichen, oder will sie dieses Geld nicht in der ausreichenden Form locker machen? In zweiterem Fall soll sie den Leuten aber auch erlauben ihrem Leben ein Ende zu setezn!

    Den vergleich mit Kindern in der dritten Welt finde ich etwas unpassend, da es dort kaum Fachausschüsse geben wird welche mit den Betroffenen die erforderlichen Gespräche führen werden.

    @Gertrude Sladek: Verstehe den Zusammenhang zwar nicht ganz, kann mir aber sehr gut vorstellen, dass es Leute gibt die sich nichts schlimmeres als den Verlsut des Augenlichtes vorstellen können.

    Ich weiß doch noch gut, wie ich in den Vorinternetzeiten, welche Sie vielleicht sogar etwas länger erlebt haben als ich, neidisch vor den riesigen Bücherregalen der Sehaugen gestanden habe und wie viel Arbeit es war die Tatsache das es diese Literaturmengen eben nicht gibt zu akzeptieren. Wenn ich dann noch die Tatsache mitbedenke, dass es wesentlich schwerer ist sich von Möglichkeiten die man hatte zu trennen, als zu akzeptieren das sie nicht da sind und bedenke was der Verlust des Augenlichtes für viele bedeuten würde (Verlust des bisherigen Jobs, Abschied von lieb gewonnenen Hobbies und eingeschränkte Mobelität), ist das Nachvollziehen dieser Vorstellung eine recht simple Schlussrechnung.

  • @Gerhard Lichtenauer Vollinhaltliche Zustimmung! @Blindwurm Können Sie sich das beispielsweise vorstellen, dass viele vor nichts mehr Angst haben als davor, einmal ohne Sehvermögen leben zu müssen? @Lukas! Die Nazikeule kommt bei der Lockerung des Sterbehilfeverbotes schneller ins Spiel, als Sie sich das auch nur ansatzweise vorzustellen in der Lage sind.

  • @ Blindwurm: Was soll noch alles berichtet werden, damit man gegen aktive Sterbehilfe sein kann? Etwa, dass in der dritten Welt tagtäglich tausende Kinder hungerleiden, weil sie nicht sterben dürfen?
    Wollen Sie uns darauf aufmerksam machen, dass es auch profitgierige Lebensbefürworter gibt? Oder schlechte Politik? Ich jedenfalls bestreite das gar nicht. Klar kann man Menschen das Leben so schwer machen, dass die Todesspritze dagegen als Humanität durchgeht.

  • Liebe Frau Karner,
    Ich freue mich, dass Sie sich für das Recht auf Leben einsetzen. Ich bin auch evangelischer Theologe. Wior als „Christ-und-Behinderung“ tun es aus christlicher Perspektive. Ich würde mich freuen, Sie einmal persönlich kennen zu lernen. Max Eugster

  • Noch ein Nachtrag: Was ich wesentlich schlimmer finde als die Regelungen in Holland und Belgien ist die britische „30000 Pfund-Regelung“

    Soll heißen: Wenn es eine medizinische Maßnahme gibt die einem totkranken Patienten noch ein Lebensjahr bringen kann darf sie in GB dem Staat nicht mehr als 30000 Pfund (kenne den exakten Umrechnungskurs nicht, schätze mal 45000 Euro) kosten. Wenn die Maßnahme mehr kostet und der Patient die Differenz nicht aufbringen kann wird diese Behandlung nicht durchgeführt. Besteht Aussicht darauf das die Behandlung zwei Jahre bringt darf sie 60000 Pfund kosten und so weiter…

    Wundert mich das diese fragwürdige Praxis in der Sterbehilfediskussion noch nie zur Sprache kam.

  • @Marianne Karner:

    Holland und Belgien sind eigentlich sehr soziale Staaten. Deshalb kann ich mir nur schwer vorstellen, dass dort viel Druck aufd ie Leute ausgeübt wird damit sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen.
    Ich will NIEMANDEN bescheinigen das sein Leben aufgrund seiner Lebenssituation nicht mehr lebenswert wäre, aber ich denke jene die unheilbar krank sind und damit nicht mehr zurechtkommen wollen sollen das Recht auf Unterstützung bei Umsetzung ihres letzten Willens haben. (Ein prominentes Beispiel ist da im Moment der Theologe Hans Küng).

    Mir ist bewußt das sehr viele Menschen mit verschiedensten Krankheitsbildern hervorragend zurechtkommen können, aber einige wenige eben nicht.
    Ich bin nicht deswegen für Sterbehilfe weil ich glaube das den Leuten nicht mehr geholfen werden kann, sondern weil aus meiner Sicht unsere Gesellschaft im Moment definitiv nicht die nötigen Hilfsstrukturen anbietet und ich mir nicht vorstellen kann das es diese in den nächsten Jahrzehnten geben wird.
    Meine Angehörigen hätten ja nicht die Qual mit dem „sabernden Opi“ wenn ihnen entsprechende leistbare Unterstützungen zur Verfügung stünden oder das Heimpersonal die Patienten nicht abarbeiten müßte wie Kücken in einer Legebatterie.
    Wenn die Politik ein Sterbehilfeverbot in der Verfassung verankern will muss sie bitteschön auch das nötige Geld für Hilfsmaßnahmen locker machen!

    Danke für den Literaturtipp. Leider kann ich ihn vorerst nicht nutzen weil es von dieser Autorin für blinde im Moment keine aufgesprochenen oder gedruckten Bücher gibt. (Weiß nicht wann ich zum Scannen Zeit finde). Quelle
    http://www.medibus.info

  • @ blindwurm: Mit Ihrer Behauptung, es handle sich bei der jüngsten Ausweitung der belgischen Krankentötungen um „sterbende“ Kinder, liegen Sie einem Irrtum auf. Ein absehbares Sterben ist nämlich überhaupt kein Kriterium. Tatsächlich sind die Voraussetzungen: unheilbare Krankheit, therapieresistente schwere körperliche Schmerzen, Todeswunsch des Kindes bei psychologisch bestätigter Urteilsfähigkeit und Einwilligung der Eltern.
    Selbst wenn und wo es ums Sterben ginge (was übrigens kaum mit absoluter Sicherheit feststeht), halte ich die Akzeptanz einer gezielt aktiven Abkürzung des Sterbeprozesses durch Andere oder Suizid-Beihillfe für eine rote Linie, die keine Gesellschaft überschreiten darf, die dem menschlichen Leben an sich einen absoluten Wert beimisst.
    Das abwertende Implizieren, dass Sterbende ihre letzte „Zeit im Krankenbett verbringen müßten“ halte ich für sehr entbehrlich. Falls ein Pflegebett oder ggf. das „Sterbebett“ tatsächlich permanent „gehütet“ werden muss (in den seltensten Fällen müsste es das übrigens), dann wäre es auch nur ein nötiges Hilfsmittel bzw. eine Adaptierung der Behinderung wie z.B. ein Rollstuhl oder ein Blindenstock und hat nichts Negatives an sich.
    Auch sonst gäbe es sehr viel zu sagen. Aber Frau Karner macht das sehr gut und ich schließe mich ihren bisherigen Argumenten vollinhaltlich an.

  • sorry
    @ blindwurm

  • @ lucas broer

    holland & co:
    ich finde es schlimm, wenn menschen durch sozialen und finanziellen druck dazu getrieben werden, sterbe“hilfe“ in anspruch zu nehmen.

    kinder:
    haben kinder nach ihrer auffassung denn kein recht auf leben mehr, weil sie unheilbar, schwer erkrankt sind? was heisst „nur noch kurze zeit zu leben haben“? wo liegt da die grenze? wer bestimmt darüber? auch im krankenbett gibt es noch lebenswürde und das recht auf eine lebensqualität trotz sehr ernster umstände.

    demenz:
    vielleicht muss unsere gesellschaft hier umdenken. dement zu sein, muss nicht heißen, unwürdig zu leben. es liegt an uns, die umstände zu verändern. mein literaturtipp: bücher von naomi feil. irgendwann wird der mensch alt, krank, gebrechlich. das ist halt so. das passt halt nicht zu unserem menschen in unserer leistungsorientierten gesellschaft. sportlich, gesund, gutaussehend, erfolgreich. wir müssen umdenken.

    und:
    die einstellung zum leben kann sich aufgrund krankheitserfahrung und mehr im laufe der zeit ändern. was man sich früher nie vorstellen konnte, wird allmählich akzeptiert. es ist ein prozess.

    nur ein geringer teil von schwersterkrankten menschen will sterbehilfe in anspruch nehmen. kinder und jugendliche so gut wie nie. im gegenteil: sie versuchen, noch jeden tag etwas zu genießen, eine lebensqualität zu haben. genauso bei den meisten an krebs erkrankten menschen.

    unsere angst ist nicht die angst der tatsächlich betroffenen.
    wir dürfen unsere furcht vor „leid“ nicht ihnen überstülpen.

    es wird immer über unwürdiges und würdiges leben diskutiert, auch, wie lange ein leben noch lebenswert ist. genau diesselbe diskussion wie damals. wir haben leider noch immer nichts oder wenig dazu gelernt.

  • @Karner: Was finden Sie denn an Holland und belgien so schlimm?
    Es wird dort ja niemand gezwungen sich töten zu lassen. Die Leute müssen von SICH aus initiativ werden und ihren Wunsch mehrmals bekräftigen!

    Und bei den Kindern handelt es sich ja auch nur um Fälle bei denen ohnehin feststeht dass sie nur noch kurze Zeit zu leben haben und diese Zeit im Krankenbett verbringen müßten.

    Im Anbetracht der gewaltigen Unterschiede erscheint es mir auch ziemlich radikal da gleich die Euthanasiekeule zu schwingen!
    Und nachdem hier ausschließlich gegen Sterbehilfe geschrieben wird von mir eine Literaturempfehlung: „Martina Rosenberg – wann stirbst du endlich“. Wer dieses Buch komplett gelesen hat kann es der Autorin wirklich nicht verübeln, das sie erleichtert über dne Tot ihrer Mutter war.

    Ich sage es ganz offen: Ich habe vor 2 Dingen Angst:
    1: Zum Zeitpunkt meines Todes aufgrund von Demenz nicht mehr zu wissen wie ich heiße.
    2: Das meine Angehörigen mich vor meinem Tot über mehrere Jahre waschen und wickeln müssen und ihr erster Gedanke nach meinem Ableben sein wird „gott sei Dank müssen wir jettz dem Saba vom Opi nicht mehr wegwischen“.
    (Gibt natürlich keiner offen zu, aber ab einem gewissen Aufwand wird die Belastung für die Angehörigen einfach zu groß, so das diese Gedanken doch aufkommen).

    Und auch für ein Heimpersonal wäre ich nach einigen Monaten sicher nur ein Objekt bei dem sie froh wären wenn es nicht mehr gewendet werden muss.

    In beiden Fällen würde ich es als Strafe betrachten wenn man es mir verweigert mich bei der vorzeitigen Beendigung meines Lebens zu unterstützen!

  • @ lucas broer

    „direkt“: möchten sie jetzt von mir hier an dieser stelle namen hören? das kann es wohl nicht sein. bitte fragen sie vielmehr andere behinderte und/oder chronisch kranke menschen, nach deren erfahrungen und meinungen. und „zusammenreimen“ tut sich hier niemand was. behindertes leben wird von anfang an (siehe genetisches screening, präimplantationsdiagnostik,) … bis zum altwerden und sterben vielfach existentiell bedroht.

    „kosten“: ja, es gibt auch die ganze krankheitsindustrie, die ihre interessen hat. das ändert aber nichts an der einsicht, dass man ehrfurcht vor dem leben, vor jedem leben haben sollte. und diese einsicht muss nicht unbedingt etwas mit religion oder kirche zu tun haben. wir haben in österreich ohnehin die passive sterbehilfe, wir haben die möglichkeit der patientenverfügung, die sehr wenig genutzt wird. zu den heimen: niemand will dort hin, ich auch nicht. dass heisst für mich aber nicht, vorher lieber sterbehilfe in anspruch zu nehmen, sondern zu versuchen, die zustände zu verbessern, dass auch alte, kranke und behinderte menschen würdig und mit lebensqualität leben können. weiters nachdenken über neue möglichkeiten, alternativen.

    die slippery slope ist durch unsere geschichte leider erwiesen.

    ich habe keine szenarien beschrieben, sondern mit vorsicht angemerkt, dass es im denken zwischen damals und heute erschreckend viele parallelen gibt. das stellen auch genug andere personen fest.

    „mordlüsterne nazi-ärzte“ das ist ihre phantasie. doch schauen sie sich einmal die entwicklung in belgien und in den niederlanden an. sterbehilfe für kinder ohne alterslimit; „sterbehilfe“ an dementen, nicht einwilligungsfähigen menschen. wie würde sie denn gerade letzteres bezeichnen?

    und: die diskussion und ablehnung von sterbehilfe, zumindest der aktiven sterbehilfe, und der kampf gegen immer mehr einsparungen auch im behindertenbereich, schließen sich ja nicht aus. beides ist wichtig. und beides kann auch zusammenhängen

  • @Marianne Karner: Wer hat *direkt* Behinderten das Lebensrecht abgesprochen? Auf „indirekt“ lass ich mich gar nicht erst ein, weil da kann man sich immer alles zusammenreimen.

    Zu den Kosten: glauben Sie nicht, dass manche die vorgeben es gehe ihnen nur um die „Unantastbarkeit des Lebens“ oä, in Wahrheit schlicht sehr gut damit verdienen, dass Leute länger leben müssen als sie wollen (Heime, Pharmaindustrie, …)?

    Die „slippery slope“ ist eine Hypothese, nicht mehr.

    Diskriminierungen im Alltag? Gibt es viele. Warum konzentrieren wir unsere Energien nicht darauf, diese real existierenden Probleme zu bekämpfen anstatt wegen irgendwelcher herbeifantasierten Szenarien zu hyperventilieren?

    Ganz ehrlich, die Angst dass mich mordlüsterne Nazi-Ärzte gegen meinen Willen niederspritzen raubt mir nicht den Schlaf. Dass es aufgrund von Sparpaketen Rückschritte bei Behindertenprojekten und -anliegen gibt schon viel eher.

  • @ lucas broer:

    es gibt leider sehr viele sterbehilfe-befürworter, die direkt und/oder indirekt behinderten und/oder chronisch, unheilbar-kranken menschen das lebensrecht absprechen.

    schon allein, das kostenargument (teure medikamente für alte menschen, totkranke menschen; hohe kosten durch suizidversuche; usw.) zeigt, dass eine gewisse parallelität zwischen damals und heute besteht (ökonomischer und sozialer druck).

    und hier ist gerade große vorsicht geboten. denn der stein, der auf einer schiefen ebene einmal ins rollen geraten ist, ist schwer aufzuhalten und kann enorme auswirkungen haben. argument der „slippery slope“.

    das thema sterbehilfe & co ist bei jedem und bei jeder mit starken emotionen verbunden. schließlich geht es um das leben und den tod von menschen.

    viele behinderte menschen sind aufgrund unserer unrühmlichen vergangenheit (euthanasie-verbrechen in ns-zeit) und aufgrund der tatsache, dass sie im alltag fast immer mit diskriminierung, absonderung und ablehnung konfrontiert werden, sehr verletzlich bzw. sensibilisiert.
    schon mal etwas von dem begriff „alltagseuthanasie“ gehört?

  • >Und ob ihr es wollt oder nicht: behinderte Menschen haben ein Lebensrecht.

    Wer behauptet denn was anderes? Die Sterbehilfe-Befürworter jedenfalls nicht. Jemandem etwas in den Mund zu legen, dass er nie gesagt hat, um sich dann umso mehr darüber zu echauffieren, ist einfach schlechter Stil. Muss man immer gleich die Nazi-Keule schwingen? Geht es nicht auch etwas sachlicher?