Österreich hat mehr Bauordnungen als Bundesländer. Eine vor Jahren von der Bundesregierung gestartete Initiative sollte zu einer Vereinheitlichung führen. Der Artikel ist in der Zeitschrift "monat", Ausgabe: Juni 2007 erschienen.
Die Harmonisierung liegt vor, desgleichen die dazugehörenden Richtlinien. Behinderte Menschen äußern Kritik an etlichen Punkten.
Die Vielzahl der unterschiedlichen Bauordnungen wird seit Jahrzehnten von Architekten und der Bauwirtschaft kritisiert. Österreich ist zwar seit Jahren Mitglied der EU, die in ihren Anfängen zum Abbau von Handelshemmnissen geschaffen wurde, hält aber durch die Menge an Bauordnungen national die größten Schwierigkeiten für alle am Bau beteiligten Branchen aufrecht.
Das sollte sich durch die Schaffung einer „Harmonisierten Bauordnung“ ändern. Daher beauftragte sie vor einigen Jahren das „Österreichische Institut für Bautechnik“ (OIB) mit den Harmonisierungsarbeiten, die Bundesländer zeigten – in Person der Landeshauptleute – Kooperationswillen.
Konzept: Technische Detailbestimmungen ausgelagert
Das Konzept sieht vor, dass in den Rechtsvorschriften selbst nur mehr schlanke, zielorientierte Anforderungen festgelegt werden sollen. Technische Detailbestimmungen hingegen werden auf Dokumente ausgelagert, die keine Rechtsvorschriften im engeren Sinne sind, sondern auf die in den Rechtsvorschriften verwiesen wird.
Hierzu dienen die OIB-Richtlinien welche im April unter Anwesenheit der Vertreter aller Bundesländer einstimmig beschlossen wurden. Sie basieren auf den Beratungsergebnissen der von der Landesamtsdirektorenkonferenz zur Ausarbeitung eines Vorschlags zur Harmonisierung bautechnischer Vorschriften eingesetzten Länderexpertengruppe. Die Arbeit dieses Gremiums wurde vom OIB entsprechend dem Auftrag der Landesamtsdirektorenkonferenz koordiniert.
Die OIB-Richtlinien dienen als Basis für die Harmonisierung der bautechnischen Vorschriften und können von den Bundesländern zu diesem Zweck herangezogen werden. Die Erklärung einer rechtlichen Verbindlichkeit der OIBRichtlinien ist den Ländern vorbehalten.
Abgesehen davon, dass zwei Bundesländer sich nach wie vor weigern, die neue Rechtsvorschrift zu ratifizieren, geben auch Details der 6 dazugehörenden Richtlinien Anlass zu Kritik. Von behinderten und nichtbehinderten Experten des barrierefreien Bauens werden Schwächen der „Richtlinie 4 – Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit“ beanstandet.
Kaum Berücksichtigung
Kurz vor Ende der Einspruchsfrist wurde dem OIB der Kommentar übermittelt. Er wurde gemeinsam mit Experten der ÖAR und anderen entwickelt. Im nunmehr vorliegenden, endgültigen Richtlinientext finden diese kaum Berücksichtigung.
Der folgende Kommentar bezieht sich nicht auf alle Details, sondern nur auf gravierende Mängel und deren Konsequenzen.
In der Stellungnahme wurde darauf hingewiesen, dass die OIB-Richtlinie 4 jedenfalls den Anforderungen der ÖNORM B 1600 zu entsprechen hätte. Es wurde zusätzlich auf das BGStG, das Bundesvergabegesetz und die „EC Public Procurement Directive“ verwiesen. Daher sind die dennoch festgestellten Abweichungen von der ÖNORM B 1600 umso bedauerlicher.
Rampen bis zu 10 %
Unter dem Punkt „Erschließung/vertikale Erschließung“ werden Rampen bis zu 10 % zugelassen. Eine Einschränkung auf Adaptierung bestehender Gebäude findet nicht statt, was eine gravierende Abweichung von der ÖNORM B 1600 darstellt.
Durchgangsbreiten von 90 cm
Das Kapitel „Durchgangsbreiten“ lässt Wohnungstreppen (z.B. in split-level Wohnungen) von 90 cm Breite zu. Der Hinweis, dass dadurch der nachträgliche Einbau von Plattformliften unmöglich wäre und daher auf eine Mindestbreite von 100 cm abzustellen sei, fand keine Berücksichtigung.
Mindestfläche ist nicht definiert
An anderer Stelle fordert das Dokument „Zwischen Türen und Treppen ist ein ausreichender Abstand einzuhalten.“ Eine Mindestfläche von 150 cm x 150 cm, bzw. bei gegenüberliegenden Treppen mindestens 200 cm gemäß ÖNORM B 1600 ist nicht definiert. Von Türen wird gefordert, dass sie „jederzeit leicht und ohne fremde Hilfsmittel“ geöffnet werden können.
Die exakte Definition von 25 N Öffnungskraft und der darüber hinaus notwendigen automatischen, motorischen Unterstützung fehlt. (Einen beachtlichen Satireaspekt liefert vor allem der Satzteil: „ohne fremde Hilfsmittel“, was bei sinngemäßer Auslegung wohl bedeutet, dass das Anbringen einer unterstützenden Öffnungshilfe nicht zulässig wäre! Dass ursprünglich wahrscheinlich „leicht und ohne fremde Hilfe“ gemeint war, scheint bei der Endredaktion verloren gegangen zu sein.)
„unterirdische Geschosse“
Auch heißt es „Zusätzlich zu Treppen sind Personenaufzüge zu errichten bei … Garagen mit drei oder mehr unterirdischen Geschossen“. Das bedeutet, dass ein- bis zweigeschossige unterirdische Garagen und alle Garagen oberirdisch ohne Aufzug errichtet werden können!
Absturzsicherungen
Die Passage „Schutz vor Absturzunfällen“ verlangt Absturzsicherungen an Gebäudeteilen erst ab einer Fallhöhe von 100 cm! Der Hinweis, die Fallhöhe zumindest auf 50 cm zu reduzieren wurde ignoriert – bewusst errichtete Unfallpunkte am Gebäude die zwangsläufig zu Unfällen, insbesondere von Kindern und alten Menschen führen werden, sind somit zulässig!
Bloß „zusätzliche“ Maßnahmen
Erst unter Punkt 8 „Zusätzliche Anforderungen an die barrierefreie Gestaltung von Bauwerken“ finden sich dann Präzisierungen und Hinweise auf weitere Maßnahmen der Barrierefreiheit der ÖNORM B 1600, was dem Anwender der Richtlinie 4 die Interpretation ermöglicht, dass bei Anwendung der Seiten 1-6 ein Gebäude bereits barrierefrei sei und mit Punkt 8 bloß – wie auch der Titel von Punkt 8 ausdrückt – „zusätzliche“ Maßnahmen gesetzt werden können.
Beherbergungsbetriebe: Barrierefreiheit kein Thema
Schließlich wird festgelegt, dass in Beherbergungsbetrieben mit mehr als 50 Gästebetten zumindest 1 Gästezimmer und ab jeweils weiteren 100 Gästebetten je 1 weiteres Gästezimmer barrierefrei auszugestalten sei. Das bedeutet, dass unter 50 Betten Barrierefreiheit kein Thema ist! Damit wird Österreich als Tourismusland mit fliegenden Fahnen untergehen. Der sinnvolle Vorschlag „bis zu 30 Betten 1 Zimmer barrierefrei und für je 30 weitere 1 barrierefreies Zimmer zusätzlich“ wurde nicht angenommen.
rollstuhl100,
12.07.2007, 14:39
warum bestimmt man nicht in jeden bezirk einen behindertensprecher der die probleme kennt ich fahre mit meinem rollstuhl im jahr ca 8500kilometer darum weis ich am besten die probleme und sorgen der rollstuhlfahrer sei es gehsteigkanten geschäfts eingänge behinderten klos usw. es gibt kaum in jeden bezirk ich betone ein behinderten gerechtes amtsgebäude in den bundesländern ist es sicher noch ärger ohne harmonisierung der bauordnung wird es kaum möglich sein eine besserung zu erlangen wann geschiet etwas schlafen die behörden und die bundes regierungen beziehungsweise die politiker außer medien geilheit dieser personen ist nichts zu erwarten
Alexandra,
08.07.2007, 17:14
MA50 hat dazu keine Auskunft gegeben, hatte ich ja erwähnt. Sie fördern generell Wohnungen bis maximal 150 qm – unabhängig, ob darin jemand wohnt, der Rollifahrer ist oder nicht. Aber ÖAR, MA15 und FSW klingt für mich als optimale Ansprechperson. Wichtig für mich ist, dass ichs schriftlich habe, damit ich mich im Streitfall darauf beziehen kann. Vom „Hörensagen“ bringt mir das ned viel.
meia,
08.07.2007, 16:58
Der FSW, MA 15, auch bei der Mietbeihilfe MA 50- in der Muthgasse müssten sie die genauen Richtlinien haben – ÖAR, BIZEPS, KOBV, Zentrum für Kompetenzen, nur um einige NGO´s zu nennen, müssten auch kompetent Auskunft geben können. Meines Wissen ist nur dauernder Rollstuhlgebrauch das Kriterium in Wien, welche Wohnungsgröße einen einzelnen Rollibenutzer zusteht..
Alexandra,
07.07.2007, 22:00
@meia … Danke für die Info. Kann man das irgendwo nachlesen? Mich würde auch interessieren, ob das auch rollstuhlabhängig ist. Ein E-Rolli hat ja einen größeren Wendekreis, als ein manueller Rolli und was ist, wenn man auf 24-Stunden Assistenz angewiesen ist?
meia,
07.07.2007, 20:23
@Alexandra – in Wien hat ein Rollstuhlfahrer Anspruch auf 70 – 80m2 Wohnung. Wenn die Wohnung mehr m2 hat, wird darüber hinaus keine Mietbeihilfe gewährt.
Alexandra,
06.07.2007, 23:43
Ich weiss, das gehört nicht unbedingt her, aber ich bräuchte dringend die Antwort auf eine sehr wichtige Frage: Wie viel qm Wohnraum steht einem/einer Rollstuhlfahrer/in gesetzlich zur Verfügung, damit die Wohnung als förderungwürdig bezeichnet wird?
Ich habe diese Frage Wiener Wohnen, MA 50 und Wiener Wohnservice gestellt und keiner der Stellen war in irgendeiner Form in der Lage mir diese Frage zu beantworten. Von der MA 50 weiss ich, dass sie Wohnungen bis maximal 150 qm fördern. Jedoch hat das meine Frage nicht beantwortet.
Mir gehts eher darum, wieviel der betreffenden Person vom Gesetz her zusteht bzw. oder ob das von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt wird. Bei Leute, die keinen Rollstuhl benötigen ist es so gestaffelt: 1 Person 50qm; 2 Personen 70qm und für jede weitere Person werden 15qm zusätzlich zugestanden. Vielleicht weiss ja einer von Euch mehr. Damit wäre mir sehr geholfen! Ich bedanke mich schon mal im Voraus.
Klaudia Karoliny,
06.07.2007, 22:48
… unbrauchbar, das Ganze, da gebe ich Edi recht – und ich denke hier kann ich sogar auch für meine MitstreiterInnen in der SLI OÖ reden. Da kann sich die EU alles sparen, wenn es zu solchen Bestimmungen kommt! Vor allem der Tourismusbereich wäre sehr wichtig. Daran wird Österreich auch vielfach gemessen. Es wird von einem halbwegs reichen Land erwartet.
War gerade in Rovinj auf Urlaub – furchtbar dort, was die baulichen Voraussetzungen für Menschen mit Behinderung angeht – auch ein Anwärterland für die EU. Mich wundert es nicht, dass es da zu solchen Bestimmungen kommt, egal wie sie heißen. Menschen- und Lebensrecht sind vielfach Mangelware, auch in der EU. Und das betrifft nicht nur uns behinderte Menschen, auch andere Randgruppen leiden daran und haben ihre, andere Probleme.
Es sollten halt überall mal kompetente Betroffene ran, die auch wissen, wovon geredet wird und was wir brauchen. Anders lässt sich das alles nicht lösen. Es geht nicht NUR ums Geld, das da und/oder dort mehr oder weniger da ist, fließen kann.
Wolfgang Skowronek,
04.07.2007, 13:37
Föderalismus á la österr. Bundesländer = STANDORTNACHTEIL
meia,
27.06.2007, 10:57
Das ist ja ein Skandal sondergleichen, der dem „Normalbürger“ gar nicht bewusst ist – Die OIB-Richtlinie 4, die die Voraussetzung einer bundeseinheitlichen Bauordnung für Barrierefreiheit bedeutet hätte ist so hiermit unbrauchbar – ein Rückschlag für die Behindertenbewegung. Das Zustandekommen einer 15A Vereinbarung, wie auch im Regierungsprogramm angekündigt, einer Vereinheitlichung der Bauordnungen im behindertengerechten Planen, Bauen und Wohnen, ist somit für längere Zeit „gestorben“. Wer ist dafür verantwortlich?