In dieser 60-seitigen Studie gingen Jakob Hartl und Martin Unger u.a. für das Bildungs- und Sozialministerium der Frage nach, wie viele Menschen die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) verwenden.
Das Institut für Höhere Studien (IHS) veröffentlichte kürzlich eine sehr lesenswerte Studie mit dem Titel „Abschätzung der Bedarfslage an ÖGS-DolmetscherInnen in Primär-, Sekundär- und Tertiärbildung sowie in Bereichen des täglichen Lebens„.
Neben der Anzahl der NutzerInnen von ÖGS wurde in einem zweiten Schritt grob der Bedarf an Dolmetscherinnen und Dolmetschern für ÖGS geschätzt. Beides dürfte kein leichtes Unterfangen gewesen sein, erfährt man, wenn man die Studie genau liest.
Selbst wenn man nur Teilbereiche des Lebens (Bildung, Arztbesuche) betrachtet (weil hier noch am leichtesten Zahlen verfügbar waren), wird schnell klar, wie groß der Bedarf ist.
Bedarf übersteigt Angebot massiv
„Allein um gehörlosen Schülern dieselben Chancen auf den Besuch der AHS-Oberstufe oder einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule (BMHS) zu geben wie Schülern ohne Behinderung, bräuchte es laut der IHS-Untersuchung zwischen 27 und 86 zusätzliche Dolmetscher. Über alle Altersgruppen hätten 5.000 bis 6.500 zusätzliche Personen potenziellen Bedarf nach ÖGS-Dolmetschleistungen“, hält beispielsweise „Der Standard“ fest. Regional ist das Angebot äußerst unterschiedlich.
Die Studie spart auch nicht mit Kritik, wenn es beispielsweise heißt: „Während Minderheitensprachen explizit als schützenswertes Kulturgut betrachtet und damit positiv besetzt werden, bleibt die ÖGS negativ besetzt und die meisten gesetzlichen Regelungen für den Gebrauch von ÖGS in einem Defizitdiskurs gefangen, der an die Ausländerpädagogik der 1960er bis frühen 1980er Jahre erinnert.“
Fazit der Studie
Woran mangelt es derzeit? „Die Bewusstseinsbildung ist Dreh- und Angelpunkt aller Fragen der Bildungsteilhabe von gehörlosen SchülerInnen. Deutsche Lautsprache ist als Schriftsprache unerlässlich für den Bildungserfolg, doch durch die Beherrschung ihrer Erstsprache haben gehörlose Kinder eine Chance deutsche Lautsprache – als ihre erste Fremdsprache – in einem Maß zu erlernen, die zu voller und wirksamer Bildungsteilhabe befähigt“, halten die Autoren der Studie unmissverständlich fest.
Und auch die in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgeschriebene Inklusion wird klar benannt: „Womit die Argumentation zum eingangs aufgebrachten Punkt zurückkehrt: ÖGS ermöglicht Gehörlosen die Teilhabe am allgemeinen sozialen Leben, ein Bekenntnis zur Inklusion muss ein Bekenntnis zur ÖGS, ihrem Unterricht, ihrer Förderung und Entwicklung beinhalten.“
ÖGLB: „Situation muss dringend verbessert werden“
„Die IHS-Studie über die Bedarfslage an ÖGS-DolmetscherInnen in Bildung und im Alltag macht darauf aufmerksam, dass die Situation gehörloser und schwerhöriger Menschen – und zwar jene, die mit ÖGS kommunizieren – dringend verbessert werden muss. Es wäre wichtig, die Lücken in der Datenlage zu ÖGS zu schließen. Das zuständige Bundesministerium muss eine Verordnung erlassen, die Erhebung von Umgangssprache und somit auch ÖGS bei der Zählung erlaubt“, hält der Generalsekretär des Österreichischen Gehörhosenbundes (ÖGLB), Ing. Lukas Huber, gegenüber BIZEPS-INFO fest.
Er fordert daher: „Ein konsequenter Ausbau des Angebots an professionell ausgebildeten ÖGS-DolmetscherInnen muss endlich vorangetrieben werden. Es ist sehr bemerkenswert, dass die Studie die langjährige Position des Österreichischen Gehörlosenbundes und der Gebärdensprachgemeinschaft vollinhaltlich unterstützt.“
10 Jahre ÖGS in der Verfassung – fast ohne Auswirkungen
Heuer im September jährt sich zum 10. Mal die Anerkennung der ÖGS in der Bundesverfassung (BGBl. I Nr. 81/2005). Seit damals heißt es in Artikel 8: „Die Österreichische Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt. Das Nähere bestimmen die Gesetze.“
BIZEPS-INFO hielt schon im Juli 2005 (!) fest: „Um die nun beschlossene Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache wirksam werden zu lassen, müssen noch bestehende Gesetze (z. B. im Bildungsbereich) geändert werden. Es liegt derzeit kein Entwurf vor, wie das Recht auf ÖGS in allen Bereichen wirksam werden kann.“
Im Rahmen der damaligen Änderung der Bundesverfassung gab es auch einen Entschließungsantrag mit folgendem Inhalt: „Die Bundesregierung wird ersucht, zu prüfen, ob der Bedeutung der Gebärdensprache für gehörlose Menschen durch gesetzliche Regelungen, insbesondere in den Bereichen Verwaltung, Bildung und Medien, hinreichend Rechnung getragen ist und nötigenfalls dem Nationalrat eine entsprechende Regierungsvorlage vorzuschlagen. Weiters wird die Bundesregierung ersucht, auch in Hinkunft bei hiefür in Betracht kommenden Regierungsvorlagen auf die Bedeutung der Gebärdensprache für gehörlose Menschen Bedacht zu nehmen.“ (Einen ganz ähnlichen Entschließungsantrag stellten die GRÜNEN auch im Frühjahr 2014.)
Doch alle bisherigen SPÖ-ÖVP Bundesregierungen blieben untätig und auch im Parlament beschlossen die SPÖ-ÖVP Abgeordneten kein Bündelgesetz, um die ÖGS – gemäß Verfassungsvorgabe – in wesentlichen Gesetzen (Beispiel Bildungsbereich) zu verankern.