So titelt ein Artikel in der Wiener Zeitung vom 22. November 2006 zum Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes vom 11. Juli 2006, C13/05, zur Frage des Behindertenbegriffes in der Richtlinie 2000/78/EG.
Mit Artikel 13 des Vertrages von Amsterdam wurde im Jahr 1997 auch ein Diskriminierungsverbot aus Gründen einer Behinderung in den EG-Vertrag aufgenommen, das unter anderem durch die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf noch präzisiert wurde.
In seinem Urteil vom 11. Juli 2006 in der Rechtssache C-13/05 hatte nun der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH, Große Kammer) erstmals die Möglichkeit, die Modalitäten des Schutzes von Menschen mit Behinderungen auf dem Gebiet der Kündigung oder Entlassung näher zu präzisieren. Dazu berichtet die Wiener Zeitung:
Eine spanische Arbeitnehmerin, Frau Chacón Navas, arbeitete für das Unternehmen Eurest Colectividades SA, einen auf Verpflegungsdienste spezialisierten Betrieb. Nach einem achtmonatigen Krankenstand entließ Eurest Frau Chacón ohne Angabe von Gründen, bot ihr aber gleichzeitig eine Entschädigung an. Frau Chacón klagte daraufhin ihren Arbeitgeber vor dem Madrider Arbeitsgericht Nr. 33 und trug dabei vor, dass ihre Entlassung nichtig sei, da sie wegen ihrer langen Krankheit ungleich behandelt und diskriminiert worden sei.
Behinderung als Oberbegriff?
Das spanische Gericht sah zwischen einer (längerdauernden) Krankheit und einer Behinderung einen ursächlichen Zusammenhang, da man eine Behinderung als Oberbegriff qualifizieren könne. Dieser umfasse Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivität und der Teilhabe am Arbeitsprozess. Da Krankheit häufig zu einer irreversiblen Behinderung führe, müssten die Arbeitnehmer rechtzeitig auf der Grundlage des Verbotes der Diskriminierung wegen einer Behinderung geschützt werden.
Sollten aber Behinderung und Krankheit als zwei unterschiedliche Begriffe angesehen werden und das Diskriminierungsverbot auf letzteren Begriff nicht anzuwenden sein, ist das spanische Gericht der Meinung, dass Krankheit als spezieller weiterer Diskriminierungsgrund im Sinne der Richtlinie anzusehen ist. Dieses Ergebnis würde auch durch eine EG-vertrags- und verfassungskonforme Auslegung erhärtet werden.
Autonom und einheitlich auszulegen
Dementsprechend setzte das spanische Gericht das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof diese beiden Fragen zur Vorabentscheidung vor, so die Wiener Zeitung.
Der EuGH bejahte zunächst die Zulässigkeit dieser Vorlagefragen, da sie keinesfalls bloß hypothetisch wären. Er stellte dabei erneut fest, dass Begriffe des Gemeinschaftsrechts autonom und einheitlich auszulegen seien. Mit der Verwendung des Begriffs Behinderung habe der Rat bewusst ein Wort gewählt, das sich von dem der Krankheit unterscheidet, sodass „sich die beiden Begriffe nicht schlicht und einfach einander gleichsetzen lassen“. Was die zweite Frage betrifft, ob nämlich Krankheit als ein weiterer Grund für eine nach der Richtlinie 2000/78/EG verbotene Diskriminierung angesehen werden kann, ist der Europäische Gerichtshof der Ansicht, dass dies nicht der Fall ist.
So die Wiener Zeitung vom 22. November 2006 auf Seite 11 in den „Fußnoten eines Europarechtlers“ von Waldemar Hummer abschließend.
Auswirkung auf die politische Diskussion?
Damit ist nun unmissverständlich durch den EuGH klargestellt worden, dass sich der Begriff Behinderung grundsätzlich von jenem der Krankheit unterscheidet, was wohl auch in der gesellschaftspolitischen Diskussion in Österreich Niederschlag finden wird; ließ sich doch bislang hier oftmals die Tendenz erkennen, Behinderung und Krankheit gleichsetzen zu wollen.
Spannend dürfte es jedoch sein, wie mit chronischen Krankheiten, wie z. B. einer Multiplen Sklerose oder bei der Diagnose HIV positiv – insbesondere in einem Stadium, in dem eine körperliche Beeinträchtigung, die man als solche wiederum als Behinderung qualifizieren könnte, noch nicht auf den ersten Blick feststellbar ist – künftig umgegangen wird. Die Behinderten- und Gleichstellungsbewegungen in den verschiedensten Ländern vertraten ja zumeist den Standpunkt, dass gerade diese Personengruppen auch als aufgrund einer Behinderung diskriminiert anzusehen seien und von Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen erfasst sein sollten.