Bloggerin Julia "Jule" Probst twittert ebenso gern und will 2013 mit den Piraten den Deutschen Bundestag entern. Im Interview für BIZEPS und kobinet hat die 30-jährige Frau aus Neu-Ulm schriftlich alle Fragen beantwortet.

Wenn die Piratenpartei den Einzug in den Bundestag schafft und sie über einen guten Listenplatz mit dabei ist, dann wäre Julia Probst die erste gehörlose Abgeordnete auf Bundesebene.
BIZEPS-INFO: Man kennt dich auf Twitter als @EinAugenschmaus. Für alle die dich nicht kennen: Wer bist du und was machst du so?
Julia Probst: 30, weiblich und ob der fehlenden Barrierefreiheit und Inklusion in Deutschland nicht verzagend, sondern dafür kämpfend auf meinen Kanälen wie meinem Blog und Twitter.
Bekannt wurde ich durch den Ableseservice während der WM 2010 und EM 2012, wo ich den Spielern und den Trainern auf die Lippen geschaut habe und das Gesagte auf Twitter vertwittert habe und das habe ich dann ganz schamlos ausgenützt, um die Aufmerksamkeit auf die fehlende Barrierefreiheit und Inklusion in Deutschland zu lenken, beispielsweise auf die niedrige Untertitelquote im deutschen Fernsehen für Gehörlose.
Aktuell sind es 14,6 Prozent. Oder auch, um die Tatsache anzuprangern, dass wir in Deutschland keinen SMS-Notruf haben.
Daneben arbeite ich noch für die Firma VerbaVoice GmbH, einem mobilen Ferndolmetscherdienst für Gehörlose und Schwerhörige und für Sky Deutschland als Lippenleserin.
Und ich bin ein stolzes Mitglied der Piratenpartei.
„König Fußball war schuld“
BIZEPS-INFO: In den letzten Monaten hast du recht viel Medienaufmerksamkeit auf dich gezogen. Wie kam es dazu, dass du innerhalb kurzer Zeit doch recht bekannt geworden bist? An was erinnerst du dich dabei am liebsten?
Julia Probst: Daran war König Fußball schuld – mein Ableseservice war zur Zeiten der WM und der EM ein großes Thema in allen Medien, das ging durch die ganzen Nachrichtenagenturen in aller Welt. Ich habe wirklich nicht schlecht gestaunt über das große Echo.
Mein Lieblingsmoment ist einer, der in der Presse weniger bekannt ist – mein erster richtig großer Auftritt bei der Re:publica 2011 im vollen Friedrichstadtpalast, wo ich mir voller Verwunderung dabei zugesehen habe, wie ich da ganz lässig sitze und dann der ganze Saal in Gebärdensprache applaudiert hat, wo ich fertig war – das ist mein Lieblingsmoment aus den letzten Monaten.
BIZEPS-INFO: Was fällt dir sonst noch ein?
Julia Probst: Auch sehr witzig war der Moment, wo ich mit meinem Hund gerade spazieren war und ich über Twitter erfahren habe, dass Jogi Löw auf mich angesprochen worden war in der Pressekonferenz, musste ich mich erstmal mitten auf dem Feld vor lauter Lachen ausschütten, weil das so surreal war.
Dann mag ich noch die Momente, wo ich erkannt habe, dass die Politik und die Regierung meine Arbeit ernst nehmen.
23.000 Tweets in 2 Jahren
BIZEPS-INFO: Du hast innerhalb kürzester Zeit rund 23.000 Tweets versandt. Was machst du gerade, wenn du nicht twitterst? 😉
Julia Probst: Das muss man so sehen: Ich habe im Juni 2010 angefangen zu twittern. Und ein Thema wie Barrierefreiheit und Inklusion in 140 Zeichen griffig rüberzubringen, ist ein Kunststück, das einem nicht immer gelingt.
Ich twittere aber nicht nur darüber, sondern auch über andere Themen. Ich kenne Twitterer, die sind viel kürzer als ich auf Twitter und haben weitaus mehr Tweets. 😀
Warum kandidiert Julia Probst?
BIZEPS-INFO: Man kann von dir lesen, dass du dich für Fußball und Barrierefreiheit interessierst. Nun wurde bekannt, dass du für die Piraten kandidieren möchtest. Warum eigentlich?
Julia Probst: Das steht auch in meiner Kandidatur: Die Piraten waren von Anfang an für Barrierefreiheit und Inklusion offen und hatten als junge Partei schon Gebärdensprachdolmetscher auf Parteitagen und im Livestream eingebunden.
Wahrgenommen als Piratin wurde ich eigentlich schon immer, da ich meine Partei ja schon das eine oder das andere Mal auf Twitter verteidigt habe.
Ziel: Deutschland bis 2025 barrierefrei und inklusiv
BIZEPS-INFO: Falls du im Jahr 2013 in den Bundestag kommen solltest:s Was möchtest du konkret umsetzen?
Julia Probst: Erstens würde ich feiern, dass mit meinem Einzug, falls das tatsächlich passiert, das Parlaments-TV mit Gebärdensprache im Fernsehen gezeigt werden muss. 🙂
Konkret möchte ich umsetzen, dass Deutschland bis zum Jahr 2025 barrierefrei und inklusiv ist. So sehe ich zum Beispiel als eine ganz wichtige Forderung an, dass Studenten der Gehörlosenpädagogik schon während des Studiums verpflichtend Gebärdensprache lernen müssen und am Ende des Studiums eine Prüfung ablegen müssen.
Das gleiche gilt auch für Erzieher und Sonderpädagogen, die sich auf den Hörgeschädigtenbereich spezialisieren wollen – gute Kommunikation ist der beste Schlüssel für die beste Bildung. Kommunikation funktioniert eben nicht nur einseitig.
„Ich wäre die erste gehörlose Abgeordnete auf Bundesebene“
BIZEPS-INFO: In Deutschland gab es im Bundestag – im Gegensatz von anderen Staaten (beispielsweise Island, Belgien oder Österreich) – noch nie eine gehörlose Abgeordnete. Was müsste sich ändern, damit du gleichberechtigt arbeiten könntest?
Julia Probst: Doch, auf Kommunalebene gibt es bereits einen gehörlosen Politiker – Martin Zierold aus einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung ist der erste gehörlose Politiker in Deutschland auf Kommunalebene.
Aber es stimmt: Würden die Piraten den Einzug in den Bundestag schaffen und wäre ich über einen guten Listenplatz mit dabei, dann wäre ich tatsächlich die erste gehörlose Abgeordnete auf Bundesebene.
Für meine Arbeit würde ich je nach Ausgangslage Gebärdensprach- oder Schriftdolmetscher benötigen, vielleicht auch eine Kommunikationsassistentin, die mir dabei hilft, Sachen zu erledigen, die nur per Telefonat, warum auch immer, erledigt werden können.
Aber anders als Martin Zierold oder Helene Jarmer würde ich nicht die ganze Zeit jemanden an meiner Seite brauchen, denn meine Stärke ist, dass ich schon immer gut war in der Kommunikation mit Hörenden. Ich habe mich so zum Beispiel mit vielen anderen Politiker live ohne Gebärdensprachdolmetscher gut unterhalten können.
Übrigens: Soweit ich weiß, sind die meisten gehörlosen Politiker, die es auch in die Parlamente geschafft haben, Mitglied der Grünen. Ich mag das an den Grünen – ich wäre ja auch beinah eine geworden. Die Entscheidung fiel mir wirklich nicht leicht, aber bei den Piraten fühle ich mich eben auch sehr wohl.
Frieda Müller,
17.09.2012, 12:25
@Blindwurm Der Taubenschlag hat in dieser Frage auch keine Kompetenz auf solche Fragen entsprechend zu antworten!
Blindwurm,
10.09.2012, 08:11
Das hier auch über Deutschland berichtet wird halte ich auch für toll und wichtig!
Ob Frau Probst wirklich für Inklusion für alle steht, daran habe ich allerdings als träger eines CIS auch meine Zweifel.
Zumal ich etwas Probleme damit habe ihre im Blog geäußerten Ansichten nachzuvollziehen.
Ich glaube KEIN Patient der Welt, und auch nicht dessen Angehörigen, verlassen sich bei einer medizinischen Behandlung vor allem auf die Aussagen in den Medien. Ein paar grundsätzliche Dinge zur Sache an sich:
1: Eine Cochlea Implantation bei gehörlos geborenen Kindern MUSS bis zum vierten Lebensjahr erfolgen. (Leider wußte man das in der Anfangszeit des CIS noch nicht genau, und hat deshalb auch Leute operiert die definitiv nicht zur Zielgruppe für ein CI zählen, wie etwa den Autor Peter Hepp).
2: Es ist unheimlich wichtig von der operierenden Klinik richtig untersützt zu werden. Um mit den CI den richtigen Umgang zu erlernen braucht man neben einem guten Akustiker einen guten Logopäden und vor allen Dingen ein Umfeld, dass bereit ist die Betroffenen zu unterstützen. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Angehörigen in die Gespräche vor und nach der Operation mit eingebunden werden).
3: Im Gegensatz zu Österreich wo jede Klinik selber ihr CI-Kontingent verwaltet müssen in Deutschland oft ziemlich zermürbende Beantragungsprozeduren erduldet werden, durch welche natürlich der Druck steigt.
4: Und da sollten wir uns an der eigenen Nase nehmen: ´Leuten die sich operieren ließen wird manchmal von Gehörlosen gesagt sie hätten nun ihre Gruppe verlassen. Und wer auf Webseiten wie taubenschlag als Elternteil fragt, ob er sein Kind implantieren lassen soll kriegt Antworten bei denen es einem die Schuhe auszieht.
Ich kann nachvollziehen, dass da persönliche Emotionen dahinterstecken, aber wenn wir untereinander geschlossen agieren wollen werden wir die überwinden müssen.
Warum also soviel über die Medien reden?
Klaudia Karoliny,
07.09.2012, 13:45
zu Marko: ich finde Ihre Sichtweise sehr kurzsichtig und einem EU-Bürger nicht würdig. Wie gesagt, mich interessiert, wie die Welt uns Menschen mit Behinderung umgeht, wie sie uns sieht und was auch wir selbst für einen Beitrag leisten, damit Inklusion einmal Realität wird. Julia Probst ist ein Beispiel dafür.
Markus Ladstätter,
06.09.2012, 09:04
Abgesehen von der Kritik möchte ich nur auf ihre Frage „Warum sollen wir uns für eine deutsche Poltikerin interessieren“ eingehen.
Wenn man das konsequent weiter denken würde, dann sollte man sich für gar nichts interessieren außer sich selbst, aber in der Realität hängt doch alles zusammen (politische Reaktionen in anderen Ländern finden politische Nachahmer hier und umgekehrt)
Marko,
05.09.2012, 19:25
Probst ist ja in der Community durchaus nicht unumstritten, siehe auch http://blog.marco-zehe.de/2012/05/17/diskriminierung-aus-den-eigenen-reihen-ist-die-schlimmste/
Auch frage ich mich, warum wir uns für eine deutsche Politikerin interessieren sollten.