Meinungsbildung oder Stimmungsmache?

Auch Meinungskommentare sollten auf nachprüfbaren Fakten fußen, die Autorin verletzt diesen Grundsatz.

Kommentar zum Artikel von Eva Linsinger „Schwarzmarkt stoppen“ im Standard vom 18. Jänner 2003.

Der erste Absatz widmet sich beispielsweise den innerfamiliären Geldflüssen, aber mit welchen Worten? Tatsache ist, dass mit der Einführung des Pflegegeldes auch beabsichtigt war, pflegenden und assistenzdienstleistenden Angehörigen ihre Tätigkeit abzugelten. Daran ist nichts Anrüchiges. Faktum ist, dass 80% der Pflegeleistungen im Familienverband erbracht werden. Ein Großteil dieser Tätigkeiten wird von Frauen erbracht, die häufig – ob des beachtlichen zeitlichen Aufwandes, den viele „Pflegefälle“ erfordern – deshalb nicht in der Lage sind, eigenes Erwerbseinkommen zu erwirtschaften.

Mit dem Pflegegeld ist es diesen Frauen beispielsweise erst möglich, sich zumindest Pensionsversicherungszeiten (durch Weiterversicherung) zu erwerben, was sie zumindest davor schützt, durch ihre Pflegetätigkeit im späteren Leben in die Armutsfalle zu geraten. Ich vermute daher hinter der Beschreibung der Position der pflegenden Tochter mit den Worten „… wenn die Oma der Familie ihrer Tochter mit regelmäßigen Finanzspritzen das Leben erleichtert ….“ eine nicht gerade feministische Position.

Schon 1997 gibt eine unverdächtige, weil unabhängige Studie (Badelt u.a.) Antwort auf diese Form der Diskussionskultur: „…Wenn etwa die empirisch unbestreitbare Tatsache, dass ein Teil des Pflegegeldes privaten Pflegepersonen (und nicht stationären Einrichtungen oder professionellen Sozialen Diensten) zugute kommt, als ‚Mißbrauch‘ bezeichnet wird, dann ist dies der Diskussionskultur nicht dienlich. Je nach vorhandenen Werturteilen mag ein solches Faktum sozialpolitischen Zielsetzungen widersprechen oder nicht. Von einer zweckwidrigen Verwendung des Pflegegeldes im Sinne des Gesetzes kann jedoch aus diesem Grunde nicht die Rede sein“.

Wenn im Kommentar „Schwarzmarkt stoppen“ davon die Rede ist, dass zwischen einem und zwei Drittel des Pflegegeldes nicht für Pflege verwendet wird, ist das wohl auf eine eingeengte Definition von Pflege im Sinne hochqualifizierter Krankenpflege durch diplomiertes Personal (die übrigens zur Hauskrankenpflege zählt und nicht aus dem Pflegegeld zu finanzieren ist) zurückzuführen. Leistungen im Sinne des Pflegegeldgesetzes sind vielmehr jene vielfältigen Assistenzleistungen, die neben der Krankenpflege im medizinischen Sinn ebenfalls notwendig sind um eine menschenwürdige Existenz abzusichern.

Viele dieser Dienstleistungen sind von Dienstleistungsorganisationen gar nicht erbringbar oder werden von diesen nicht angeboten. Das ist mit ein Grund, warum seit dem Beginn der neuerlich aufgeflammten „Pflegegelddiskussion“ sich auch schon Anbieterorganisationen zu Wort gemeldet haben, um die „Scheck- und Sachleistungsmodelle“ abzulehnen. Keiner weiß besser um die Begrenztheit der Angebote Bescheid als die erfahrenen Dienstleister. Im übrigen stehen bereits Durchrechnungen zur Verfügung, die besagen, dass beim Übergang jeglicher Pflege- und Assistenzleistungen auf vollprofessionelle Dienste sich der Finanzierungsaufwand von derzeit € 1,45 Milliarden auf € 7,3 Milliarden verfünffachen würde!

Wenn im Kommentar behauptet wird „1,5 Milliarden € zahlt der Bund jährlich an Pflegegeld“, so ist diese Aussage nicht einmal mehr in Rufweite der Realität, unterstellt sie doch, dass damit direkt auf Budgetmittel zugegriffen würde. Tatsache ist, dass das Pflegegeld seit seiner Einführung aus Zuschlägen zur Krankenversicherung finanziert wird (je 0,4% von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, 0,5% von Pensionisten). Tatsache ist auch, dass u.a. durch steigende Lohnsummen die jährlichen Einnahmen aus diesem Titel die pflegegeldbedingten Ausgaben übersteigen und letztlich ein jährlicher Überschuß (zuletzt etwa € 30,5 Millionen, Berechnung der Grünen) das Budget auffettet.

Die sozialversicherten Jobs – auch in der Familie – und die damit verbundenen positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind auch den behinderten Menschen ein Anliegen und nicht gleichgültig. Schon seit langem bemüht sich beispielsweise die Dachorganisation der Behindertenverbände um eine Gesetzesnovelle, die pflegenden Angehörigen nicht nur die Weiterversicherung, sondern auch die Begründung eines Versicherungsverhältnisses möglich macht.

Die Jobs außerhalb des Familienverbandes sind durchaus zu vermehren, nur bloß nicht mit Pflegescheck und Sachleistung und einer damit einhergehenden quasi-Verstaatlichung und dem Entzug der Selbstbestimmtheit von Einzelindividuen. Schon derzeit nehmen – das dürfte der Kommentatorin entgangen sein – zwischen 50% und 60% der Pflegegeldbezieher professionelle Dienstleister in Anspruch. Der Prozentsatz stiege, wenn die Angebote (derzeit stimmen sie nur in Ballungsräumen) in Fläche und Qualität verfügbar wären.

Arbeitslosenzahlen senken könnte man vor allem dann, wenn den Personalzahlen und der Dienstleistungsqualität in stationären Pflegeeinrichtungen mehr Augenmerk geschenkt würde. Pflege zu Hause und im familiären Verband weisen hohe Qualität und Zufriedenheit bei allen Beteiligten aus, wie der Studie „Qualitätssicherung in der Pflege“ (ÖBIG 2002) entnommen werden kann.

Im stationären Bereich mangelt es nicht nur an qualitätssichernden, österreichweit einheitlichen Standards, es mangelt vor allem an Personal. Einrichtungen, in denen in Nachtdiensten eine Pflegeperson auf 50 bis 60 Pflegeabhängige kommt, verheißen kaum menschenwürdige, Bedürfnisse abdeckende Zustände. Dort anzusetzen hieße arbeitsmarktpolitisch weitblickend zu agieren.

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