Reform der deutschen Pflegeversicherung

Am 17. Oktober 2007 beschloss das deutsche Bundeskabinett den Referentenentwurf für ein Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung mit Verbesserungen für Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegedienste.

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Mit 1. Jänner 1995 wurde in Deutschland eine Pflegeversicherung eingeführt, der nach den Statistiken des deutschen Gesundheitsministeriums im Bereich der sozialen Pflegeversicherung rund 70,16 Mio (Stand 1. Jänner 2007) und im Bereich der privaten Pflege-Pflichtversicherung rund 9,10 Mio Versicherte (Stand 31. Dezember 2005) angehören. Etwas mehr als 2 Mio Begünstigte nehmen Leistungen dieser Pflegeversicherung in Anspruch, was einen jährlichen Gesamtfinanzaufwand im Jahr 2006 von rund 17,1 Mrd Euro erforderte.

Auch wenn diese Pflegeversicherung offenbar bei den Versicherten aber auch bei den pflegebedürftigen Menschen in den knapp 12 Jahren ihres Bestehens ein hohes Maß an Akzeptanz erworben haben dürfte, bestand doch ein spürbarer Weiterentwicklungsbedarf, um für die Herausforderungen der künftigen Entwicklungen, insb. der demografischen Entwicklungen, gerüstet zu sein.

Bereits mit der mit 1. April 2007 in Kraft getretenen Gesundheitsreform 2007, deren Kernstück das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) darstellt, wurde eine Reihe von Verbesserungen für die Pflege auf Schiene gestellt, wie z. B.:

  • Schnittstellenproblematiken zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bzw. zwischen Krankenhaus und Hausarzt wurden abzubauen versucht;
  • die Leistungsansprüche wurden erweitert; so wurde die ambulante und stationäre Reha zu einer Pflichtleistung und sollen ambulante Rehamaßnahmen auch in stationären Einrichtungen erbracht werden.
  • Hauskrankenpflege kann nun auch in anderen entsprechenden Wohnformen – z. B. Wohngemeinschaften – und generell können Pflegedienste auch an anderen geeigneten Orten, z. B. Kindergärten, Schulen, erbracht werden.
  • Ein Anspruch auf Hauskrankenpflege geht nun in Form der Behandlungspflege bei schwer pflegebedürftigen Personen auch bei Heimunterbringung nicht mehr verloren.
  • Es wurde ein neuer Anspruch auf ambulante Palliativversorgung geschaffen etc.

Nun erarbeitete das deutsche Gesundheitsministerium als weiteren Schritt zahlreiche strukturelle Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung in Form eines Referentenentwurfes für ein Gesetzespaket, der nun am 17. Oktober 2007 auch vom Bundeskabinett abgesegnet wurde.

Das 274 Seiten starke Gesetzeskonvolut umfasst eine Vielzahl von Verbesserungsmaßnahmen, von denen die wesentlichsten hier kurz dargestellt werden:

  • Pflegebedürftige Menschen sollen künftig höhere Leistungen – mit den Stichtagen 1. Juli 2008, 1. Jänner 2010 und 1. Jänner 2012 – insb. in der häuslichen (ambulanten) Pflege bekommen und diese Leistungen sollen auch dynamisiert werden; diesbezüglich ist die Bundesregierung – erstmals 2014 – alle drei Jahre verpflichtet, die Notwendigkeit und Höhe einer Leistungsanpassung zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten.
  • Pflegebedürftige Menschen sollen zu ihrer Information Leistungs- und Preisvergleichslisten erhalten und können sich künftig an Pflegestützpunkte in ihrem Stadtviertel oder ihrer Gemeinde im Sinne wohnortnaher Versorgungsstrukturen wenden.
  • Pflegebedürftige Menschen erhalten mit Wirkung ab 1. Jänner 2009 einen Anspruch auf individuelle Beratung und Begleitung durch einen Pflegeberater im Sinne eines Casemanagements.
  • Das Verfahren zur Feststellung des Pflegebedarfes soll beschleunigt werden, das heißt, dass die Begutachtung bei stationärer Unterbringung binnen einer Woche und bei häuslicher Pflege binnen zwei Wochen durchgeführt werden soll und ein Antragsteller spätestens binnen fünf Wochen ab Eingang des Antrages bei der Pflegekasse deren schriftliche Entscheidung erhalten soll.
  • Vom Instrument der integrierten Versorgung soll vermehrt Gebrauch gemacht werden.
  • Die Qualität in der Pflege soll durch gesetzlich verankerte regelmäßige (alle drei Jahre) aber auch anlassbezogene Qualitätsprüfungskompetenzen (Kontrollrechte) des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei Pflegeheimen und ambulanten Diensten, durch die Zertifizierungsmöglichkeit von Pflegeheimen und ambulanten Diensten sowie durch die Entwicklung und Veröffentlichung von Expertenstandards der Qualitätssicherung gewährleistet werden.
  • Die Transparenz und Vergleichbarkeit der Pflegeleistungen soll durch die Verpflichtung zur Veröffentlichung der Ergebnisse der Prüfberichte des MDK und der Ergebnisse der Zertifizierungsverfahren im Internet und auf andere geeignete Weise in verständlicher, umfassender, nachprüfbarer, übersichtlicher, zuverlässiger und selbstverständlich barrierefrei zugänglicher Form sowohl für die KundInnen als auch für die Dienste verbessert werden.
  • Die Leistungen für pflegebedürftige Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz – demenziell erkrankte, geistig oder psychisch behinderte Menschen – sollen verbessert werden (Anhebung der Zusatzleistungen auf 2.400 Euro jährlich).
  • Ehrenamtliche Dienste und die Selbsthilfe sollen zusätzlich gefördert werden.
  • Außerdem soll ein Anspruch auf eine kurzfristige Arbeitsverhinderung im Ausmaß von bis zu 10 Tagen bei Akutpflegesituation zur Organisierung einer bedarfsgerechten Pflegeversorgung bzw. ein Anspruch auf eine Pflegezeit (Pflegefreistellung) von bis zu sechs Monaten zur Pflege eines nahen Angehörigen mit Aufrechterhaltung des Sozialversicherungs- und Kündigungsschutzes und eines Rückkehrrechtes zum Arbeitsplatz geschaffen werden.

Im Gegenzug zu all diesen Fort- und Weiterentwicklungsmaßnahmen im Bereich der Pflegeversicherung soll aber auch der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung angehoben werden, und zwar um 0,25 Prozentpunkte, was laut den Erläuterungen Mehreinnahmen von rund 1,3 Mrd. Euro im zweiten Halbjahr 2008 und rund 2,5 Mrd. Euro in den Folgejahren erwarten lässt. Dem gegenüber stehen laut den Erläuterungen Mehrausgaben von 0,48 Mrd. Euro im zweiten Halbjahr 2008 und von rund 1,04 Mrd. Euro 2009 bzw. von bis zu 2,20 Mrd. Euro in den Jahren 2010 bis 2012 und ab 2015 führt die Dynamisierung der Leistungsbeträge zu weiteren Mehrausgaben. Nach den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf heißt es, dass „mit der Anhebung des Beitragssatzes um 0,25 Prozentpunkte die Auswirkungen der demografischen Entwicklung sowie die Leistungsverbesserungen mit Ausnahme der Dynamisierung dauerhaft finanziert werden können; Entsprechend reicht der Beitragssatz bis Ende 2014/Anfang 2015 zur Finanzierung der Reformmaßnahmen aus.“

Nun soll das Gesetzespaket in die erste und zweite Lesung genommen und im Anschluss daran vom Bundestag beschlossen werden. Sollte dies alles ohne gröbere Verzögerungen über die Bühne gehen, so ist beabsichtigt, diese Pflegereform mit 1. Juli 2008 in Kraft zu setzen.

Weitere Infos sowie den Gesetzesentwurf zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung finden Sie hier.

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0 Kommentare

  • @Manfred Srb – Ja, das stimmt – Diskussionen im Deutschen TV und mit Betroffenen aus unserem Nachbarland bestätigen dies – Trotzdem möchte ich die Forderungen ergänzen:
    1. Offene Pflegestufe
    2. Bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für behinderte Menschen (auch bei den Körperschaften wie Gebietskrankenkassen, Länder und Gemeinden) u.a. bei Heilbehelfen, Persönliche Assistenz, Behindertengerechtes Planen, Bauen und Wohnen, öffentliche Verkehrsmittel und Verkehrsraum,.. jedoch keine nach unten Nivellierung – Orientierung an den besten Standards..
    3. Reform des Bundes-Behinderten-Gleichstellungsgesetz – Der Staat sollte Diskriminierungen ahnden und die Betroffenen schützen und nicht die Betroffenen nach dem Konsumentenschutzgesetz auf privatrechtlicher Basis ihr Recht erkämpfen müssen, wobei die momentane Rechtslage fast ein Hohn für die Betroffen ist..
    4. Verankerung dieses reformierten Gesetzes auf Landes- und Gemeinde Ebene
    5. Einbindung betroffener Fachleute in politischen Gremien – seien es Arbeitsgruppen, z.B. Pflege, Planung (u.a. Barrierefreiheit)- politische Entscheidungsfindungen.. Dies bedarf allerdings Barrierefreiheit auch im österr. Parlament, deren Landtage, alle Gemeinden (Rathäuser) Bezirksparlamente. Denn sonst sind behinderte Menschen von der Politik und politischem Leben ausgegrenzt und wird über deren Köpfen entschieden.

    Eigentlich ist dies schon in unserer Verfassung (Artikel 7) verankert – Doch scheinbar wollen verantwortlichen Politiker – auch kurzsichtige Wirtschaftslobbyisten, behinderte Menschen nicht nur aus Kostengründen vom gesellschaftlichen Leben ausgrenzen. Wie es momentan aussieht, werden wir weiter „verarscht“ und das sollten wir uns nicht gefallen lassen. Da nicht der Mensch zählt, sondern sogenannte „Erbsenzähler“ Politik machen und das „Sagen“ haben.

  • Ich weiss nicht, woher der Autor zu der Meinung gelangt ist, dass die Deutsche Pflegeversicherung bei den behinderten Menschen ein „hohes Maß an Akzeptanz“ erreicht hat.

    Tatsache ist, dass meines Wissens bei den behinderten Menschen – und das weiß ich aus vielen Gesprächen mit Betroffenen aber auch aus der öffenltichen Diskussion – eine große Unzufriedenheit über die miekrigen Leistungen in Deutschland besteht. Es ist wohl kein Zufall, dass in diesem Zusammenhang der Begriff der (unmenschlichen)“Minutenpflege“ geprägt wurde, was angesichts der geringen Höhe des Pflegegeldes auch nicht verwundert.

    Trotz aller Schwächen des österreichischen Systems der Pflegevorsorge muß gesagt werden, dass es dank des unermüdlichen Kampfes der österreichischen Behindertenbewegung gelungen ist, für unser Land deutlich bessere Leistungen in diesem Bereich zu erzielen.
    Dessen ungeachtet muss auch in Österreich endlich das System der Pflegevorsorge dringend verbessert und ausgeweitet werden: Dazu gehören die jährliche Valorisierung des Pflegegeldes, eine einmalige Abgeltung des durch die Nichtvalorisierung entstandenen Kaufkraftschwundes, die Übernahme der Kosten für die Persönliche Assistenz (unter Kostenteilung durch den Bund und die Länder), bedarfsgerechte Einstufen für Menschen mit Demenz und für behinderte Kinder.
    Wenn wir die dringend notwendigen Verbesserungen erreichen wollen dann sollten alle Betroffenen gemeinsam dafür kämpfen – genauso wie vor nun bald 20 Jahren.