Rollstuhl gegenüber Kinderwägen im Bus benachteiligt

  • SchlichtungswerberIn: Markus Ladstätter
  • Unterstützt von: Martin Ladstätter
  • Schlichtungspartner: Wiener Linien GmbH & Co KG
  • Zeitraum: 2. Mai 2017 bis 20. Juni 2017
  • Bundesland: Wien
  • Gesetzesgrundlage: BGStG
  • Einigung: Nein
  • Klage: Ja

Schlichtungsantrag

Es passiert mir regelmäßig, dass ich als Rollstuhlfahrer bei einer Busstation zurückgelassen werde, weil zwei Kinderwägen auf den Rollstuhlplatz gestellt werden oder bereits stehen. Als Person im Rollstuhl ist man immer eine der letzten die einsteigen, weil man darauf warten muss, dass vom Personal die Rampe aufgeklappt wird.

Es passiert mir mehrmals im Monat, dass ich nicht mitgenommen werde. Immer wieder auch mehrmals hintereinander.

Die Busse haben einen typisierten Rollstuhlplatz, deswegen sollte der auch vorrangig für Personen mit Rollstuhl verwendet werden.

Ich fordere daher, dass Rollstuhlplätze bei Bedarf für Personen im Rollstuhl frei geräumt werden.

Ich fühle mich diskriminiert, wenn ich nicht im Bus mitfahren kann, weil der Rollstuhlplatz durch andere Personen, die keinen Rollstuhl benützen, belegt ist.

Dies ist nicht vergleichbar damit, wenn gehende Personen aufgrund eines vollen Busses nicht einsteigen können, denn mir passiert das unabhängig davon ob ich einer der ersten oder letzten Fahrgäste bin, die zur Haltestelle kommen.

Anmerkungen / Bewertung

Aus Sicht der Wiener Linien handelte es sich um kein schlichtungstaugliches Thema, weshalb sie nicht an der Schlichtung teilnahmen.

Bewertung durch Markus Ladstätter

Ich finde es sehr bitter, dass österreichische Gerichte diese Thematik gänzlich anders beurteilen als der Oberste Gerichtshof in London, siehe Rollstuhlplatz in Öffis: Brite erzielt Teilerfolg vor oberstem Gericht. In Österreich zählt offenbar nach wie vor das „Recht des Stärkeren“.

Klage

  • Zeitraum: 22. Mai 2018 bis 30. August 2018
  • Unterstützt von: Klagsverband
  • Ziel: Schadenersatz in der Höhe von 1000 Euro

Urteil

Das Klagebegehren wurde abgewiesen.

Auszug aus der Urteilsbegründung:

Gemäß § 2 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 BGStG darf niemand unmittelbar oder mittelbar auf Grund einer Behinderung beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, diskriminiert werden. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn eine Person mit Behinderung im Vergleich zu einer anderen Person eine weniger günstige Behandlung in direktem oder ausdrücklichem Bezug zu einer Behinderung erfährt. Es ist wesentlich bei der Prüfung des Vorliegens einer Diskriminierung, ob eine vergleichbare Situation vorliegt, da dies Grundvoraussetzung einer unzulässigen Diskriminierung ist. Vergleichbar bedeutet nicht, dass die Situationen der zu vergleichenden Personen völlig ident sein müssen.

Zwischen den Parteien besteht ein Beförderungsvertrag, dem die Beförderungsbedingungen der beklagten Partei zu Grunde liegen. Diesen Bedingungen ist in Punkt 1.2., der die Benützung der Fahrzeuge und/oder Anlagen der beklagten Partei mit einem Rollstuhl zum Thema hat, ist — wie festgestellt — folgender Satz zu entnehmen: „Wir ersuchen Sie um Verständnis, dass wir Sie nur nach vorhandenem Platzangebot befördern können.“ Die gleiche Einschränkung hinsichtlich des Platzangebots wird auch bei der Beförderung von Fahrgästen mit Kinderwägen getroffen (Punkt 1.3. der Beförderungsbedingungen).

Der Kläger bringt vor, dass er im Vergleich zu Personen ohne Rollstuhl längere Wartezeiten hat da er von Linienbuslenkerinnen und -lenkern teilweise nicht mitgenommen wird. Vor allem im Vergleich zu Personen mit Kinderwägen sei er benachteiligt, wenn Stellplätze für Kinderwägen und Rollstühle zeitgleich mit zwei Kinderwägen belegt seien und er nicht mitgenommen werde.

Nach den getroffenen Feststellungen gibt es in den gegenständlichen Bussen der beklagten Partei keine ausschließlich für Rollstuhlfahrer ausgewiesenen Plätze, sondern kombinierte Plätze für Kinderwägen und für Rollstuhlfahrer. Rollstuhlnutzer und Personen mit Kinderwägen können also nur dann mitgenommen werden, wenn der für den Rollstuhl bzw. für den Kinderwagen notwendige Platz nicht besetzt ist. Da es nach den dem Vertragsverhältnis zugrundeliegenden Bedingungen keine Differenzierung gibt, weshalb kein Platz besteht, sondern nur von „nach vorhandenem Platzangebot“ die Rede ist, kann es keinen Unterschied machen, ob der kombinierte Platz von einem Rollstuhlfahrer oder einem Kinderwagen genutzt wird, oder auch, was wohl zur Hauptverkehrszeit vorkommen kann, zahlreiche Fahrgäste in den kombinierten Bereichen stehen.

Wie festgestellt, hat das BMVIT in dem Leitfaden für barrierefreien Öffentlichen Verkehr —Anforderungen an barrierefreie Linienbusse einerseits auf Seite 23 im Unterpunkt „Anforderungen an Rollstuhlplätze“ in Punkt B.9.1. die Empfehlung abgedruckt, dass in Linienbussen mindestens ein ausgewiesener Rollstuhlplatz bzw. im urbanen Bereich ab 12 m Fahrzeuglänge mindestens zwei ausgewiesene Rollstuhlplätze pro Fahrzeug vorzusehen ist. Dies ist eine Empfehlung des Schweizer FAP, Merkblatt BöV und nicht rechtlich verbindlich.

Auf Seite 54 hingegen wird die Empfehlung ausgesprochen, die Funktionsbereiche für Rollstühle und Kinderwägen in einem Bereich zu vereinen, „weil die Nutzung so am flexibelsten ist“. Die beklagte Partei ist bei der Gestaltung der Bereiche für Personen mit eingeschränkter Mobilität offensichtlich der Empfehlung für kombinierte Plätze gefolgt, was nicht der EU-Busrichtlinie (RL 2001/85/EG) widerspricht. Das Vorbringen des Klägers, dass sich die Empfehlung für kombinierte Plätze lediglich auf den Ort, nicht aber auf die Nutzung bezieht, widerspricht schon der Formulierung der Empfehlung hinsichtlich der Flexibilität der Nutzung.

Die beklagte Partei ist folglich weder aus dem Beförderungsvertrag und den ihm zugrundeliegenden Bedingungen, noch aufgrund gesetzlicher Bestimmungen dazu verpflichtet, in ihren Linienbussen Rollstuhlfahrerplätze bereitzuhalten, die ausschließlich zur Nutzung durch Rollstuhlfahrer vorgesehen sind, und im Bedarfsfall von allen übrigen Fahrgästen — vor allem von Personen mit Kinderwägen – freizumachen sind.

Der Kläger bringt richtig vor, dass die beklagte Partei an den von ihr geschlossenen Beförderungsvertrag gebunden ist und sie dafür Sorge zu tragen hat, dass der Kläger von seinem Beförderungsrecht Gebrauch machen kann. Diese Verpflichtung aus dem Vertrag kann jedoch keinesfalls so weit reichen, dass die beklagte Partei andere Fahrgäste — mit denen sie ebenfalls einen Beförderungsvertrag geschlossen hat — zum Aussteigen zu verhalten hat, da die beklagte Partei natürlich auch an die mit diesen Fahrgästen geschlossenen Verträge gebunden ist. Überdies entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass auch Vertragspartner der beklagten Partei, die deren Verkehrsmittel mit einem Kinderwagen benutzen wollen, teilweise nicht befördert werden können, weil es das Platzangebot nicht erlaubt. Der Kläger wird also, wenn er nicht befördert wird, weil schon Kinderwägen auf den kombinierten Plätzen stehen, nicht nicht weniger günstig behandelt.

Einzugehen ist noch auf das Szenario, dass zwar alle Stellplätze leer sind bzw. der Kläger noch einen freien Platz hätte, es ihm jedoch nicht möglich ist, einzusteigen, da andere Fahrgäste — mit Kinderwägen — vor ihm einsteigen und der Kläger, da er auf das Ausklappen der Rampe warten muss, keinen Platz mehr findet. Diese Situationen sind, auch wenn sie zweifellos beschwerlich, ärgerlich und frustrierend sind, dennoch nicht unter die vom Kläger geltend gemachte Bestimmungen des BGStG zu subsumieren. Die einzige Möglichkeit, das vom Kläger geschilderte Szenario zu verhindern, wäre, wenn die Buslenkerinnen und Buslenker die Türe, bei der sich die Rampe befindet, nicht von innen mittels Knopfdruck sondern erst von außen öffnen, und den Kläger – nach dem Aussteigen der Fahrgäste – als ersten einsteigen zu lassen. Weiters wäre aber zuvor von den Mitarbeitern der beklagten Partei eine Reihung der Fahrgäste, die die Stellplätze brauchen, nach ihrem Eintreffen bei der Bushaltestelle vorzunehmen — denn da es sich um kombinierte Plätze handelt, sind Rollstuhlnutzer nicht bevorzugt vor Fahrgästen mit Kinderwägen zu behandeln. Dies von der beklagten Partei zu verlangen, wäre unverhältnismäßig und wohl auch praktisch nicht durchführbar.

Es stellt folglich keine unmittelbare Diskriminierung des Klägers aufgrund einer Behinderung iSd § 2 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 BGStG dar, wenn Buslenkerinnen bzw. Buslenkern der beklagten Partei ihn nicht befördern, weil die Stellplätze von Kinderwägen besetzt sind.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich