Vor einem Jahr fand bei der UNO in Genf eine Staatenprüfung Österreichs statt. Erkundet wurde, inwieweit Österreich die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einhält.
Als Teil der Zivilgesellschaft war Prof. Volker Schönwiese (Vorstandsmitglied von Selbstbestimmt Leben Österreich) damals bei der UNO und konnte die Prüfung live mitverfolgen.
Wenige Tage nach der Prüfung erhielt die Republik vom zuständigen Fachausschuss der UNO Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Konvention in Österreich.
BIZEPS-INFO führte mit Prof. Schönwiese diesbezüglich folgendes schriftliche Interview:
„Österreich noch weit davon entfernt, die Konvention zu erfüllen“
BIZEPS-INFO: Wie schätzen Sie die Bedeutung der UN-Handlungsempfehlungen für die Umsetzung der Konvention in Österreich ein?
Prof. Volker Schönwiese (SLIÖ): Die UN-Handlungsempfehlungen bestätigen auf vielfältige Weise, dass Österreich noch weit davon entfernt ist, die Konvention zu erfüllen.
Die UN-Handlungsempfehlungen ermöglichen eine international nachvollziehbare Standortbestimmung für Österreich und die Hoffnung lebt, dass sie für die Entwicklung in Richtung Selbstbestimmung, Inklusion, Barrierefreiheit und Partizipation in Österreich einen positiven Einfluss haben.
Mehr als eine Hoffnung auf substanzielle Umsetzung der Konvention gibt es derzeit allerdings aus der Sicht der Selbstbestimmt Leben Bewegung nicht wirklich. Vielleicht wirkt die EU, die die Konvention auch ratifiziert hat und keinen „Erfüllungsvorbehalt“ kennt, auf Österreich positiv ein.
„Das segregierende System setzt sich ungebrochen fort“
BIZEPS-INFO: Ein Jahr nach Übermittlung der Handlungsempfehlungen. Was hat sich bisher verändert? Wie sind Sie mit der Umsetzung der Handlungsempfehlungen zufrieden?
Volker Schönwiese: Die UN-Handlungsempfehlungen sind in Österreich noch viel zu wenig bekannt. Die Handlungsempfehlungen haben den nötigen Paradigmenwechsel in Österreich noch nicht ausreichend beflügelt.
Das segregierende System setzt sich ungebrochen fort, Reformen in Richtung Inklusion, Barrierefreiheit, Selbstbestimmung und Partizipation bleiben weiterhin halbherzig wie zuvor oder auf Modellprojekte beschränkt.
Es gibt auch Rückschritte (z.B. im Bereich Bildung und im Bereich Barrierefreiheit). Für Menschen mit Behinderungen unmittelbar und existentiell wichtige Themen wie Persönliches Budget, Persönliche Assistenz, De-Institutionalisierung und unterstützte Entscheidungsfindung sind gar nicht oder nicht ausreichend gesetzlich geregelt.
Ein Inklusionsfonds und ein Menschenrechtsinstitut müssten eingerichtet werden
BIZEPS-INFO: Was wären Ihrer Meinung nach die nächsten notwendigen Schritte zur Umsetzung der Handlungsempfehlungen?
Volker Schönwiese: Die Bundesregierung müsste eine/n von Behinderung betroffene/n Beauftragte/n im Bundeskanzleramt ernennen, die/der für Fragen der Umsetzung der Konvention sowie Verhandlungen mit den Ministerien und den Bundesländern politisch ermächtigt ist. Es müsste ein ausreichend finanzierter „Inklusionsfonds“ eingerichtet werden, der der/dem Behindertenbeauftragten untersteht.
Ein Aufsichtsrat mit Mitgliedern von Selbsthilfeorganisationen (DPOs) müsste Rechte zur Steuerung der Tätigkeit des Fonds haben. Dazu müsste das längst überfällige Menschenrechtsinstitut nach den Pariser Prinzipien eingerichtet werden.
BIZEPS-INFO: Glauben Sie, dass der NAP Menschenrechte (Nationale Aktionsplan Menschenrechte) ein Instrument zur Unterstützung der Umsetzung der Konvention in Österreich sein wird?
Volker Schönwiese: In der jetzigen Konstruktion kann er etwas hilfreich sein und Vorbereitungen für die Umsetzung der Konvention unterstützen. Er bewirkt aber wenig, solange kein deutlicherer politischer Wille zur Umsetzung der Konvention erkennbar ist und es keine mit einem politischen Verhandlungsmandat ausgestattete Stelle für eine/n Behindertenbeauftragte/n gibt.
Auf die Interessenspolitik, die die Entwicklung eines wirksamen NAP behindert, hat der NAP in der derzeitigen Konstruktion kaum Einfluss. Die Gefahr groß, dass der NAP kaum strukturell wirksam und vor allem ein Instrument offizieller Legitimation wird.