Marianne Schulze

Schulze: „Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern Rechnung tragen“

Der Verhandlungsprozess hat - so Mag. Marianne Schulze - deutlich gezeigt, dass die Barrieren, die sich Menschen mit Behinderung in den Weg stellen, bewusst gemacht werden müssen.

Nach Schätzungen werden derzeit nur 3 bis 4 % der Personen mit Behinderung in Programmen der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt, gibt Mag. Marianne Schulze von „Licht für die Welt“ im Interview bekannt.

In den Verhandlungen zur Konvention „zur Förderung und zum Schutz der Rechte und Würde von Menschen mit Behinderungen“, die in New York noch bis 3. Februar 2006 geführt werden, möchte sie eine verstärkte Armutsbekämpfung erreichen.

BIZEPS-INFO: Welche konkreten Erwartungen haben Sie an diese Verhandlungsrunde? Welche Fortschritte könnte es geben?

Mag. Marianne Schulze („Licht für die Welt“): „Licht für die Welt“ erwartet, dass den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern Rechnung getragen wird und ein eigener Artikel zu „internationaler Kooperation“ am Ende der siebten Verhandlungsrunde feststeht, um die konkreten praktischen Verbesserungen, wie z. B. Unterstützungsleistung auf lokaler Ebene, in der Dorfgemeinschaft zum Beispiel, konkret werden zu lassen.

Um das Ziel, den endgültigen Text der Konvention der 62. Generalversammlung der UNO im Herbst 2007 vorzulegen, zu erreichen, muss der gesamte Textvorschlag des Vorsitzenden, S.E. Botschafter Don MacKay, durchverhandelt werden. Wenn sich die Dynamik der letzten Runde im August weiterentwickelt, dann könnte das Komitee das schaffen. Das wäre ein wichtiger und großer Schritt zur Finalisierung der internationalen Konvention für Personen mit Behinderung.

BIZEPS-INFO: Welcher Punkt ist Ihnen in dieser Verhandlungsrunde besonders wichtig? Was wollen Sie inhaltlich beitragen?

Marianne Schulze: Ein umfassendes Rechts- und Maßnahmenpaket für Menschen mit Behinderung ist nur sinnvoll, wenn es in der Praxis konkrete Verbesserungen bringt und nachhaltig zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung beiträgt.

Da laut Statistiken der UNO 80% aller Personen mit Behinderung in Entwicklungsländern leben, ist es für „Licht für die Welt“ unerlässlich, dass ein eigener Artikel zu internationaler Kooperation – im neuen Text als Artikel 32 bezeichnet – garantiert, dass die Konvention dort ankommt, wo die Rechte und Verbesserungen vor allem gebraucht werden: Bei Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern.

Der Verhandlungsprozess hat deutlich gezeigt, dass die Barrieren, die sich Menschen mit Behinderung in den Weg stellen, bewusst gemacht werden müssen. Die verschiedenen Vertreter und Vertreterinnen von Behindertenorganisationen haben in den letzten Jahren unglaublich viel Erfahrung und Wissen in die Verhandlungen eingebracht.

Diesen Faden möchte „Licht für die Welt“ aufgreifen, um die Probleme von Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern zu verdeutlichen und die dringende Notwendigkeit eines eigenen Artikels zu internationaler Kooperation für die praktische Umsetzung der Konvention zu unterstreichen.

BIZEPS-INFO: Eine der Forderungen ist, dass in Zukunft Entwicklungsprogramme grundsätzlich auch immer für behinderte Menschen zugänglich sein müssen. Welchen Stellenwert geben Sie dieser Forderung?

Marianne Schulze: Angesichts der Tatsache, dass derzeit nach Schätzungen nur 3 bis 4 % der Personen mit Behinderung in Entwicklungszusammenarbeitsprogrammen berücksichtigt werden, kann der Stellenwert gar nicht hoch genug sein. Die Tatsache, dass 50 % der Behinderungen in Entwicklungsländern – die ja überwiegend armutsbedingt sind – vermeidbar wären, spricht Bände über die Dringlichkeit und die Notwendigkeit der Forderung von „Licht für die Welt“ für die Einbeziehung von „internationaler Kooperation“.

Der Teufelskreis, dass ein älteres Familienmitglied auf Grund von Armut erblindet und eines der Kinder oder Enkelkinder zuhause bleiben muss, um dieses Familienmitglied zu unterstützen und daher ein Mensch nicht mehr arbeiten und sich wesentlich schlechter bis gar nicht in die Gemeinschaft einbringen kann und ein Kind im Schulalter die Schule nicht besuchen kann, muss durchbrochen werden. Zur Umsetzung bedarf es eines eigenen Artikels, der auf die konkreten Erfordernisse von Entwicklungszusammenarbeit eingeht.

BIZEPS-INFO: Behinderte Frauen fordern vehement die durchgängige Berücksichtigung ihrer Forderungen in der Konvention. Was ist hier, Ihrer Meinung nach, in diesem Bereich notwendig?

Marianne Schulze: Die Forderung ist angesichts der so genannten „Mehrfachdiskriminierung“, die Frauen mit Behinderung oft widerfährt, sehr plausibel und grundsätzlich sehr unterstützenswert. Das Argument, dass die besondere Erwähnung von einer „Gruppe“ – ich verwende das Wort sehr ungern – eine ganze Liste an „besonderen“ Erwähnungen auch anderer „Gruppen“ nach sich zieht, wodurch Auslassungen entstehen können, ist widerlegbar. Es wird jedoch noch einiges an Überzeugungsarbeit notwendig sein, um die ausdrückliche Erwähnung von Frauen durchzusetzen.

BIZEPS-INFO: „The International Lesbian and Gay Association“ sowie eine Reihe von nationalen Lesben- und Schwulenorganisationen weisen daraufhin, dass in Bezug auf die Mehrfachdiskriminierung die „sexuelle Orientierung“ fehlt und fordern die Berücksichtigung beim Konventionstext. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass in der Konvention auch die Menschenrechte von behinderten Lesben und Schwulen geschützt werden?

Marianne Schulze: Selbstverständlich unterstütze ich dieses Anliegen – im Rahmen meiner Möglichkeiten – da die Argumente einleuchtend sind. Als Kennerin der Verhandlungsdynamik bin ich vorsichtig abwartend, da zuletzt bei der Diskussion über das Recht auf Privatleben die gegensätzlichen Ansichten sehr deutlich wurden (siehe dazu auch die Analyse).

Fakt ist, dass sich die Formulierungen der EU zum Thema „Gleichbehandlung“ in den letzten Jahren von denen der UNO wegentwickelt haben. Das Gegenargument ist, wie bei anderen Themen auch, dass mit der Konvention für Menschen mit Behinderung kein „neues“ Recht geschaffen werden soll.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

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