Schweiz: Heimlobby kämpft gegen Finanzausgleich

10.000 Menschen haben am 16. Oktober 2004 in Bern gegen die Neugestaltung des Finanzausgleichs protestiert.

Flagge Schweiz
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Es seien massive Verschlechterungen der Lebenssituation von behinderten Menschen zu befürchten, wurde liesen Behindertenheime im Vorfeld wissen. Kritiker – darunter Betroffene – werfen den Initiatoren der Demonstration vor, dass hiermit nur die Heimfinanzierung für die Zukunft gesichert werden soll.

„Tatsache ist, dass die Lobby der Behinderteninstitutionen, die in der Regel von Nichtbehinderten dominiert werden, inzwischen sehr mächtig und schlagkräftig geworden ist. Die viel beachteten Behinderten-Demonstrationen legen davon Zeugnis ab. Man weiss sich zu wehren und zu mobilisieren, und die Organisation ist weitläufig: 825 Einrichtungen haben sich im Dachverband Insos vereinigt“, beleutete die Schweizer Weltwoche die Hintergründe.

In Wirklichkeit geht es um die Finanzierung der Wohnheime und Werkstätten in der Schweiz. „Ob es Behinderten gut geht oder nicht, ist nämlich nicht allein eine Frage des Geldes. Im Gegenteil. Das heutige System der Behindertenhilfe könnte ohne weiteres mit weniger Geld auskommen, ohne dass es den Behinderten schlechter ginge. Ja, das Leben von Behinderten liesse sich sogar markant verbessern. Das sagen Betroffene, und das zeigen Beispiele aus dem Ausland“, berichtet die Zeitung weiters.

„Je weniger ausgebildet die Leute sind, desto günstiger für uns“, sagt Peter Wehrli, Geschäftsführer des Zentrums für selbstbestimmtes Leben in Zürich, in der Weltwoche. „Dann hören sie uns wirklich zu und gehen auf unsere Bedürfnisse ein.“ So liessen sich von den Milliardenkosten dreissig Prozent einsparen, glaubt er.

„Dass er nicht zu hoch greift, zeigt die Erfahrung anderer europäischer Länder. Hier hat das Umdenken längst eingesetzt. Vor allem in Schweden haben sich solche Assistenzbudgets bewährt“, berichtet die Weltwoche und erläutert weiters: „Auch die Niederlande stellten vor vier Jahren bei den Behinderten radikal von der Objekt- auf die Subjektfinanzierung um: Das Geld fliesst also nicht mehr in die Institutionen, sondern zu den Personen; die Betreuenden müssen mit ihren Leistungen um die Behinderten werben. Und in Grossbritannien schickt die Regierung gegenwärtig Case-Manager in die Heime, um Insassen herauszuholen, weil wissenschaftliche Studien zeigen, dass das System der Direktzahlungen besser und billiger ist.“

Die „dicke Schicht von Dienstleistern, die zwischen den Behinderten und den Kassen sitzt“, präge die Schweizer Behindertenpolitik, meint Peter Wehrli. Insbesondere der Dachverband der Behindertenheime, die Insos (Soziale Institutionen für Menschen mit Behinderung Schweiz), sei „ein Kartell, das den Staat am Wickel hat“.

Es geht um sehr viel Geld, denn allein die Heime, die der Dachverband der Behindertenheime Insos angehören, bieten zwei Drittel der total 52.000 Behinderten-Plätze der Schweiz an, beschäftigen 25.000 Angestellte und benötigen jährlich 2,8 Milliarden Franken für ihren Betrieb.

„Verteidigen sie nur ihre Klientel gegen jeden Versuch, die Effektivität des Einsatzes von zehn Milliarden Franken zu überprüfen? Und wer ist ihre Klientel: die Behinderten oder ihre Betreuer?“ fragt die Weltwoche abschließend.

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