Am 19. März 2014 lud Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter ins Ministerium, um über die Ziele des kürzlich gestarteten Modellprojekts "Unterstützung zur Selbstbestimmung" zu informieren. Ein Kommentar.
Gemeinsam mit dem ehemaligen Nationalratspräsidenten Dr. Andreas Khol (ÖVP) und der ÖVP-Abgeordneten Mag. Gertrude Aubauer erläuterte Justizminister Brandstetter das seit Anfang März 2014 an 17 Standorten gestartete Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“.
Dauerbaustelle Sachwalterrecht
Seit Jahren steht dieser Bereich unter massiver Kritik in- und ausländischer Stellen, die sich um Menschenrechte kümmern. Sei es die Volksanwaltschaft, der Monitoringausschuss oder der UN-Fachausschuss bei der Staatenprüfung Österreichs – Der Tenor ist immer der gleiche: Das Sachwalterrecht muss endlich menschenrechtlichen Standards angepasst werden und der derzeitige Rechteentzug widerspricht diesen zutiefst.
Aufbruch zu neuen Ufern?
In einer Ministeriumsbroschüre aus dem Jahr 2011 wird dazu bekanntlich noch festgehalten: „Erst wenn geklärt wurde, dass es keine Alternativen gibt, wird vom Richter ein Sachwalter bestellt.“ Man muss es mit aller Deutlichkeit sagen: Das ist schlicht unwahr.
Mit einiger Verspätung – aber nun scheinbar doch – hat das Justizministerium erkannt, dass die gebetsmühlenartige Wiederholung des Arguments „Das Sachwalterecht ist gut, es muss nur gelebt werden“, total an der Realität vorbeiläuft.
Durch den demographischen Wandel steigt die Anzahl der Sachwalterschaften, gab der Justizminister im Rahmen der Pressekonferenz am 19. März 2014 unumwunden zu: „Da sind wir besorgt.“ Die Hintergründe dieser bedenklichen Entwicklung wurden schon erkannt: „Es kommt auch deshalb häufig zu einer Sachwalterschaft, weil andere Hilfen fehlen oder oft auch nur nicht bekannt sind.“
Es ist dem Minister hoch anzurechnen, dass er endlich zu dieser Dauerbaustelle klar Stellung nahm. „Wir fragen uns nun, ob das wirklich immer sofort nötig ist. Ob man wirklich sofort immer die Selbstbestimmung durch die Fremdbestimmung in Form einer Sachwalterschaft ersetzen muss“, so Brandstetter, der als Ziel nannte, „dass die Selbstbestimmung möglichst lange erhalten bleibt“.
Reformverzögerung wirklich als erster Schritt?
Im Jahr 1984 – vor genau 30 Jahren (!) – hat das Sachwalterrecht die damalige Entmündigungsordnung abgelöst. Was damals als neues Recht ein großer Schritt war, ist – sagen wir es frei heraus – ziemlich in die Jahre gekommen.
Quasi wie eine alte Hose, die schon mehr Löcher als Stoff hat, aber an der man aus sentimentalen Gründen doch irgendwie hängt. Flicken geht nicht mehr wirklich, wegschmeißen will man sie aber auch noch nicht.
So gesehen ist es nachvollziehbar, wenn der Minister – in leichter Verkennung der Sachlage – meint: „Wir haben mit dem Sachwalterrecht in der derzeitigen Form ein im internationalen Vergleich durchaus ausgereiftes und praxiserprobtes Instrument im Umgang mit geistig beeinträchtigten Menschen zur Verfügung. Trotz mancher Probleme kann das Sachwalterrecht auch nach wie vor seine Aufgabe erfüllen.“
Nachsehen sollte man es ihm unbedingt, weil er sofort klarstellte, wie verfahren die Situation wirklich ist: „Es kann nicht im Interesse der Gesellschaft sein, dass laufend immer mehr Menschen unter Sachwalterschaft gestellt werden. Das klare Ziel muss sein, die Selbstbestimmung so lange wie möglich zu erhalten.“
Er begründete seine Meinung anschließend wie folgt: „Zu einer solchen Haltung ermuntert nicht nur die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, nein, eine solche Einstellung ist doch ein Gebot der Menschlichkeit“.
Wozu ein Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“?
„Es geht uns darum, für Menschen, für die eine Sachwalterschaft angeregt wurde, einen anderen Weg zu eröffnen“, erklärte der Justizminister den Zweck des Modellprojektes.
An 17 Gerichtsstandorten in Österreich (verteilt auf alle Bundesländer, in Wien beispielsweise an den Bezirksgerichten Donaustadt, Leopoldstadt und Fünfhaus) werden von den Gerichten vor einer Sachwalterbestellung ausgewählte Clearingstellen eingebunden, um (laut Presseunterlage in 2 – 3 Wochen) einzuschätzen , ob eine Sachwalterschaft vermieden werden kann. Dies konnte auch bisher schon so gehandhabt werden, nun hat es aber an diesen 17 Gerichtsstandorten zu passieren.
Das Modellprojekt wird bis in den Herbst 2015 laufen und soll Praxiserfahrungen bringen. Sachwalterschaften sollen mit dem Modellprojekt vermieden werden; eigentlich laut Gesetz eine Selbstverständlichkeit – nun soll es aber in der Praxis auch gelebt werden. „Persönlich glaube ich daran“, meinte Brandstetter zuversichtlich: „Wir versuchen mit diesem Modellprojekt einen neuen Zugang zum Thema Sachwalterschaft zu finden, versuchen dabei auch vorhandene Ressourcen, die es schon gab, zu nutzen und sie zu vernetzen.“
Auch ein wenig Kritik konnte man zwischen den Zeilen hören, wenn Brandstetter hoffte, „jedenfalls mehr Transparenz über ohnedies vorhandene, aber bislang der Justiz vielleicht sogar verborgene Möglichkeiten der Unterstützungsangebote für behinderte Menschen“ zu schaffen.
Womit wir wieder beim den Löchern der Hose wären. Das Sachwalterrecht ist so schlecht und macht es für viele – zum Schaden der Betroffenen – leicht einen totalen unbeschränkten Rechteentzug einzuleiten und durchzusetzen. „Die Zahl der Beschwerden steigt enorm an – da geht es um dramatische Schicksale. Von heute auf morgen bestimmt ein fremder Mensch über mein Leben“, berichtete die Abgeordnete Aubauer und führte aus: „Es wird viel zu früh eine Sachwalterschaft verhängt.“
Reform des Sachwalterrechts – erst 2016 geplant
Man werde aus den Erfahrungen „Schlüsse ziehen für die ohnehin geplante Reform des Sachwalterrechts“, so der Minister, der mit der Darlegung der Pläne fortfuhr: „Eine Reform des Sachwalterrechts ist mittelfristig geplant, sie ist ja auch im Regierungsprogramm vorgesehen. Mit der Umsetzung der gesamten Sachwalterschaftsreform wird es nach unserer Einschätzung wahrscheinlich jedenfalls bis 2016 dauern, weil 2016 wollen wir – gestützt auf den Erfahrungen des Modellprojektes – einen fertigen Entwurf haben.“ (Im Regierungsprogramm steht: „Förderung der unterstützten Entscheidungsfindung (Betreutes Konto als erste Stufe, Sachwalterbestellung als ultima ratio)“)
Auch die Kostenfrage ist so leicht erklärbar. Minister Brandstetter dazu: „Wir haben mit diesem Modellprojekt keine unmittelbar neuen Kosten.“ Die Maßnahmen laufen nämlich alle im Rahmen des schon bisher bestehenden Clearings.
2016? Ernsthaft? Im Nationalen Aktionsplan Behinderung (NAP) aus dem Jahr 2012 wurde dazu in den Maßnahmen 49 und 50 festgehalten: „Novelle des Sachwalterrechts unter Partizipation von Menschen mit Behinderungen“ und „Erarbeitung eines Modells unterstützter Entscheidungsfindung unter Beteiligung von Menschen mit Behinderungen“.
Verantwortlich für diese Maßnahme ist laut NAP das Justizministerium. Umzusetzen ist dies vereinbarungsgemäß im Jahr 2013/2014. War dies daher die Ankündigung, auch diesen Punkt des NAP nicht einhalten zu wollen?
Bisher hatte das Justizministerium in einer vorbildlich barrierefreien Arbeitsgruppe, die stark auf Partizipation ausgerichtet ist, zum Thema „Unterstützte Entscheidungsfindung“ gearbeitet. Ausländische Beispiele für andere rechtliche Systeme wurden aufgezeigt, aber herausgekommen ist bisher nur das Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“. Ein Projekt, das Sachwalterschaften eindämmen will, nicht aber ein System, das eine rechtliche Alternative zum bedenklichen System der Sachwalterschaft ermöglicht.
Bis Ende 2014 hat das Justizministerium noch Zeit, die Maßnahmen 49 und 50 des Nationalen Aktionsplans fristgerecht umzusetzen. Wenn dies nicht passiert, müssen sich das Ministerium und der Minister schon die Frage gefallen lassen, ob die gewählte Handlungsweise wirklich lösungsorientiert ist oder ob hier ein Verschleppen des Problems intendiert ist.
Finanzierung über den Pflegefond?
Aufhorchen ließ ÖVP-Abgeordnete Aubauer – unterstützt von Khol – mit der Forderung nach Case-Management zur Verhinderung von Sachwalterschaften. Sie führte im Detail aus: „Ein ganz wichtiger Punkt für uns: Die finanziellen Mittel könnten aus dem Pflegefond genommen werden. Es steht explizit drinnen, dass flächendeckendes Case-Management einzuführen ist.“
Was bedeutet dies für bestehende Sachwalterschaften?
„Gibt es auch Pläne für Maßnahmen zur Aufhebung bestehender Sachwalterschaften?“, wollte BIZEPS-INFO im Rahmen der Pressekonferenz vom Justizminister Brandstetter wissen.
„Im Rahmen der Überlegung zum neuen Sachwalterschaftsrecht werden selbstverständlich auch diese Überlegungen einfließen. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist für mich natürlich eine Verpflichtung“, hielt der Minister abschließend fest.