Seit 18. August 2003 sitzt Thea Mauchle (SP, Zürich) im Kantonsparlament, als Nachfolgerin von Liliane Waldner.
Als Verfassungsrätin in Zürich hat die Rollstuhlfahrerin Thea Mauchle dazu beigetragen, dass im Verfassungsentwurf der Satz steht: „Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf Zugang zu Bauten, Anlagen und Einrichtungen sowie Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind.“ Nun will sie als Kantonsrätin in Zürich dafür sorgen, dass die Gleichstellung behinderter Menschen auch Wirklichkeit wird.
BIZEPS-INFO: Welche Möglichkeiten sehen Sie als Ratsmitglied in Zürich die Gleichstellung behinderter Menschen in der Schweiz zu fördern?
Thea Mauchle: Viele im Kantonsrat in Zürich werden fast zum ersten Mal konfrontiert mit einer Betroffenen. Da gibt es natürlich „Berührungsangst“ oder übersteigertes „Helfersyndrom“, das ich beides mit meiner bloßen Anwesenheit auslöse. Ich bin unterdessen in zwei kantonalen Parlamenten des Kantons Zürich, nämlich einerseits im Verfassungsrat (100 Sitze), welcher befristet die Verfassungsrevision vornehmen muss, und anderseits seit ein paar Wochen im Kantonsrat (180 Sitze), der die ständige Legislative auf kantonaler Ebene bildet. Als einzelnes Ratsmitglied kann ich allerdings weder hier noch dort gerade viel ausrichten und ich muss mir in der Gleichstellungsfrage natürlich meine Verbündeten und Gleichgesinnten suchen.
BIZEPS-INFO: Wer wird das sein?
Thea Mauchle: Diese sind nicht unbedingt ausschließlich in der Linken zu finden, sondern auch bei den Bürgerlichen und Konservativen. Es ist eine meiner Aufgaben, den anderen Ratsmitgliedern klar zu machen, dass Behinderung und Gleichstellung der Behinderten keine parteipolitische Frage ist, sondern dass niemand vor einer Behinderung gefeit ist und die Frage im Interesse Aller sein muss. Es geht um Menschenwürde, Menschenrechte und Grundrechte des Individuums.
BIZEPS-INFO: Wie waren Ihre ersten Erfahrungen?
Thea Mauchle: Im Verfassungsrat gab es schon einige Schwierigkeiten, die ich dann für meine politischen Forderungen bestens gebrauchen konnte. Ich verschaffte den Ratsdiensten anfangs schier unlösbare Probleme, da ich auf einem hindernisfreien Zugang (plus zugängliche Toilette) zu den Sitzungsräumen für meine Kommission beharrte. Beim Ratsausflug traf ich ein absolut unzugängliches Restaurant an und reiste sofort wieder ab, um den Vorfall nachher möglichst in den Medien breit zu schlagen und darauf hinzuweisen, dass wir Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen auf diese Weise diskriminiert würden.
BIZEPS-INFO: Was ist für den Erfolg für Sie wichtig?
Thea Mauchle: Da Politik (also auch die Gleichstellung behinderter Menschen) grundsätzlich nicht allein gemacht werden kann, bin ich auf vielseitige Mitarbeit, Unterstützung und den Austausch angewiesen, sonst wäre meine Mitgliedschaft im Rat „für die Katz'“. Mein Vorteil ist, dass ich mir als selber Betroffene das Thema nicht zuerst aneignen muss und immer ziemlich glaubwürdig vertreten kann. Mir sagt man nicht so schnell: „Ach ja, euer Anliegen ist zwar berechtigt, doch im Moment steht eben Dringenderes an …“. Ich muss auf eine unterstützende Basis von Betroffenen zurückgreifen können. Sie sollen mich als ihre Interessenvertreterin wahrnehmen können und ich brauche ihr grundsätzliches Einverständnis bei den Forderungen, die ich stelle. Das heißt natürlich, dass ich in Kontakt und Austausch mit ihnen bleiben muss und nicht irgendwo in einer politischen Sphäre verschwinde, wo es nur noch um meine eigene Karriere geht. Es heißt aber auch, dass die Betroffenen sich zeigen, also ebenfalls in der Öffentlichkeit auftreten, z.B. als LeserbriefschreiberInnen oder TeilnehmerInnen an Kundgebungen oder ZuschauerInnen an den Ratssitzungen usw.
BIZEPS-INFO: Die Volksinitiative „Gleiche Rechte für Behinderte“ erhielt leider keine Mehrheit. Waren Sie überrascht?
Thea Mauchle: Die Volksinitiative wurde nicht überraschend abgelehnt, wenigstens nicht für uns, die schon länger politisch am Werk waren. In der Schweiz wurden seit 1971 bspw. 87 Initiativen verworfen und 5 angenommen, eine davon das Frauenstimmrecht! Es wäre also eher verwunderlich gewesen, wenn unsere Initiative angenommen worden wäre. Trotzdem ist die Initiative ein Weg, um die Stimmbevölkerung zu sensibilisieren und sich ins Gespräch zu bringen.
BIZEPS-INFO: Wenn Gleichstellung in der Schweiz als Menschenrecht anerkannt wäre, dann hätte die Volksinitiative doch Erfolg haben müssen?
Thea Mauchle: Ein Irrtum, dem die Politik meistens erliegt, ist die Meinung, man könne Behindertengleichstellung budgetieren und dann je nach Konjunkturlage erledigen oder nach vorne verschieben, also die Betroffenen auf irgendwann später vertrösten.
BIZEPS-INFO: Welche wichtige Schritte sind Ihrer Meinung nach nun notwendig um doch noch die Gleichstellung in der Schweiz zu fördern?
Thea Mauchle: Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), welches am 1. Januar 2004 in Kraft treten wird, ist ja das von uns sehr kritisierte Gesetz „ohne Zähne“, welches der Bundesrat und das nationale Parlament ziemlich eigensinnig, in Eigenregie und ohne Rücksprache mit uns Betroffenen über unsere Köpfe hinweg formuliert und ausgestaltet hat. Das Gesetz wird sich ausschließlich auf staatliche Einrichtungen beschränken, tangiert also nicht die Privatwirtschaft und zementiert dort eigentlich den Status quo, ist überhaupt nicht innovativ!
BIZEPS-INFO: Wie wird es weitergehen?
Thea Mauchle: Irgendwann werden wir vielleicht eine nächste Initiative lancieren, da muss man den richtigen Zeitpunkt abwarten, aber die Frauen haben auch erst im dritten Anlauf ihre politischen Rechte durchgesetzt, nachdem sie über 100 Jahre lang „gepickelt“ haben, und die Geschichte der Frauengleichstellung nehmen wir zum Vergleich immer wieder hervor. Eine Hoffnung ist auch noch, dass es die Schweiz vielleicht doch noch irgendwann in die EU schafft und wir dann davon profitieren können. Aber ob unsere Generation dies noch erleben wird, steht leider in den Sternen!
BIZEPS-INFO: Vielen Dank für das Interview.