Über den „recherchieren und nachdenken kann ich später noch“-Journalismus

Am Beispiel der Abhandlung des Themas „leicht verständliche Information“ im Spiegel, der Zeit und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Ein Kommentar.

Ein Zeitungsständer mit verschiedenen Tageszeitungen. Bild, Frankfurter Allgemein, Neue Zürcher Zeitung und andere.

Eine Entschuldigung oder das Einbekenntnis, etwas falsch gemacht zu haben, wirkt in aller Regel entspannend und entlastend. Im besten Fall für „Täter“ und „Opfer“.

Nach journalistischen Schreibtischtaten gilt das nur bedingt, denn während etwa dem „Opfer“ in der FAZ einmalig 1.000 Zeichen für eine Replik zugestanden werden und es dann ‚Ende der Diskussion‘ heißt, bleibt der fehlerhafte Originaltext unverändert und dauerhaft im Netz.

Und auch wenn Sascha Lobo im Spiegel den „Fall Alfred Dorfer“ als Beleg für die gestiegene Macht der Leserschaft ansieht (nach einer Lawine an Kritik in den sozialen Medien bekannte Dorfer schnell, seine Glosse in der Zeit sei möglicherweise „danebengegangen“), bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Der Artikel wurde von -zig Mal mehr Menschen gesehen, als die Entgegnung auf Twitter oder Facebook. Die Medien haben sich verändert, die Macht- und Wirkungsverhältnisse hingegen blieben seit Bölls „Katharina Blum“ grundlegend unverändert.

Aber zum Glück geht es ja aktuell nicht um die Reputation eines Menschen, sondern ‚nur‘ um die eines Themas, eines Hilfsmittels für Menschen, die nicht gut Deutsch können. Für das deutsche Feuilleton offenbar eine sprachliche Form, die den Untergang des Abendlandes in einer Verdummung der Massen heraufbeschwört.

Dämonisierung einer simplen Verständnishilfe

Walburga Fröhlich setzte sich in einem Kommentar im Web mit der Frage auseinander, was denn hinter dieser Dämonisierung einer simplen Verständnishilfe stehen könnte.

Was dabei noch auffällt: Wie unreflektiert, gleichsam aus der Hüfte, Glossen, Kommentare oder ‚Analysen‘ gegen die sogenannte „Leichte Sprache“ abgefeuert werden. Wie in schlimmster Boulevardmanier ohne vorherige Auseinandersetzung mit dem Thema anderen nicht weniger als die Boulevardisierung der Gesellschaft angelastet wird.

Einmal ist keinmal

Einmal ist keinmal, das zweite Mal kann Zufall sein, aber ab dem dritten Anlassfall kann man hier doch einen Systemfehler vermuten.

Den unseligen Reigen eröffnet hatte, vor knapp einem Jahr, Martin Doerry im Spiegel, nur um später per Mail einzubekennen, ein Spiegel Artikel sei halt „auf Pointen bedacht und nicht so wissenschaftlich ausgewogen“. Und schade, „dass Sie erst jetzt reagieren“! Echt schade, dass man halt zuvor nicht wusste, zu welchem Thema Herr Doerry grad nicht recherchierte.

Bei Dorfer folgte die Entschuldigung – wie gesagt – dem Artikel auf dem Fuße. Die Zeit brauchte allerdings viel länger als Dorfer, diese auch ihren Leserinnen zugänglich zu machen. Dass viele unter ihnen mit dem formelhaften bin „missverstanden worden“ nicht recht froh werden wollten, steht auf einem anderen Blatt.

Abrechnung mit der Kindersprache

Und jetzt die FAZ und Adrian Lobe mit seiner Abrechnung mit der „Kindersprache“. Statt eine möglicherweise tatsächlich schlecht geschriebene Zeitungsmeldung in der Augsburger Allgemeinen als solche zu kritisieren, kommt ihm diese gerad recht für den verkürzten Schluss auf die Methode an sich. Kollateralschaden vermutlich, dass es hier nicht die Methode, sondern verschiedene davon gibt – er wirft sie alle in einen Topf.

Zu schön, etwas als vermeintlichen „Beweis“ für das eigene Vorurteil gefunden zu haben. Ein wichtiges Faktum habe in der „Leichte Sprache“-Meldung gefehlt. Dies belege, dass derartige Nachrichten die Komplexität der Wirklichkeit unzulässig reduzierten und daher gefährlich seien.

Anderen Qualitätsmedien, wie der Zeit, der Tagesschau.de oder dem österreichischen Kurier, die alle jenes angeblich unabdingbare Faktum in ihren deutlich längeren Artikeln ebenfalls nicht behandelten, hingegen unterstellt Lobe ganz genau gar nix. Eine vergleichende Recherche unterließ er lieber; sie hätte möglicherweise seine schöne, vorgefasste These gefährdet.

Dorfer wird bei Lobe, quasi kollegial (auch er schreibt immer wieder mal für die Zeit), zum Opfer stilisiert, dem vorgeworfen werde, „Witze auf Kosten Behinderter“ zu machen.

Die Fakten

Die Fakten dazu – etwa jene schlimme Verkürzung Dorfers, mit der er allen, die nicht Hochsprache beherrschen gleich „flaches Denken“ unterstellt, enthält Lobe seiner Leserschaft ebenso vor, wie Dorfers Rückzieher. Da wird der FAZ-Glossenschreiber lieber gleich selbst zum Beschützer seiner Leser vor allzu viel faktischer Komplexität.

Aber immerhin – heute Morgen finde ich im Mailordner Lobes Zugeständnis auf diese, meine Kritik, die man in der FAZ (siehe oben) nicht finden kann: Er hält sie für „differenziert und berechtigt“.

Dankeschön! Das wird jetzt langsam eine Sammlung an später Erkenntnis.

Unbescheiden wie ich bin, wäre mir der gute alte Journalismus mit seiner Abfolge, in der Recherche vor dem Schreiben kommt, aber dennoch lieber.

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