Verbesserte Mindestsicherung muss Sozialhilfe-Baustelle ablösen

Für viele Kritiker*innen hat sich die „alte“ Mindestsicherung während der Covid-19-Krise als schnelle Hilfe in vielen Bereichen bewährt.

Renovierungsbedürftige Mauer mit zwei Fenster
Norbert Krammer

Die Aussicht auf ein Umsetzen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SH-GG) der alten VP-FP-Regierungskoalition verschreckt in dieser Situation. Denn es gab vor der Beschlussfassung im Mai 2019 bereits viele Befürchtungen, die in der Folge nicht geringer wurden.

In zwei Bundesländern wurden Ausführungsgesetze schon umgesetzt und hier bestätigen sich viele der Vorahnungen.

Startschuss für Sozialhilfe-Fleckerlteppich

Nach intensiver Diskreditierung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) durch einige Politiker*innen von ÖVP und FPÖ wurde der Boden für ein neues Grundsatzgesetz geschaffen, mit dem auf niedrigem Leistungsniveau eine Vereinheitlichung und die konzentrierte Benachteiligung von verschiedenen Personengruppen (beispielsweise subsidiär schutzberechtigte Menschen oder Wohngemeinschaften) erfolgen sollte.

Die nur kurz dauernde VP-FP-Koalition schaffte 2019 mit ihrer Mehrheit den Parlamentsbeschluss eines Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes.

Dieser enthielt neue, niedrige Höchstsätze für Leistungen, Hürden für Menschen mit geringen Deutsch-Kenntnissen und eine bedrohliche Reduktion für Wohngemeinschaften, gleichgestellte Staatsbürger*innen anderer Nationen und bei Nichtbestehen von Sprachprüfungen.

Die Empörung war in weiten Teilen der NGOs, bei rechts- und sozialpolitisch engagierten Organisationen und bei den Oppositionsparteien sehr groß. Sie bildete sich auch in mehreren Dutzenden negativen Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf ab.

Auch der Verfassungsgerichtshof wurde mehrfach mit dem Grundsatzgesetz befasst: Das Höchstgericht hob wesentliche Bestimmungen über die zu geringen, degressiven Höchstrichtsätze für Kinder – und damit für Familien – auf. Es bot dem Sprachnachweis als Hilfeerfordernis die Stirn und eröffnete durch Hinweise viel Spielraum für die Landesgesetzgeber, die diesen bisher nicht umfassend nutzten.

Nun ist seit dem Beschluss des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes erst etwas mehr als ein Jahr vergangen und aktuell zeichnet sich statt einer Vereinheitlichung ein buntes, um nicht zu sagen: unübersichtliches, Bild von neuen Ausführungsgesetzen des SH-GG (Niederösterreich und Oberösterreich) und alten BMS-Landesgesetzen (übrige Bundesländer).

Corona-Krise unterstreicht Notwendigkeit umfassender Hilfe

Die für alle Menschen überraschenden Einschränkungen während des Lockdowns in der ersten Akutphase der Covid-19-Krisensituation haben die Nachfrage nach einem funktionierenden Hilfeinstrument in Notlagen erhöht.

Beispielsweise für Menschen, die in der Krise ihre Arbeit verloren haben und mit einem geringen Arbeitslosengeld das Auslangen finden müssten. Gerade im Niedriglohnsektor reicht die Ersatzquote der Arbeitslosenversicherung nicht aus, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu befriedigen.

Damit weiter die Miete bezahlt werden kann, muss die BMS aushelfen. Als sogenannter „Aufstocker“ – Aufzahlung zum geringen Arbeitslosengeld – kann z.B. Josef B., der von seinem Arbeitgeber gekündigt werden musste, durch die BMS-Unterstützung wenigstens die Miete wieder bezahlen. Er hofft natürlich genauso wie der Selbstständige, dass die kleine Imbissbude, die bisher sein Arbeitsplatz war, wieder öffnen kann. Derzeit hängt alles von der weiteren Entwicklung des ohnehin kargen Tourismus in der Vorstadtgemeinde ab.

Josef B. hat Glück, da er die Kriterien für die Mindestsicherung erfüllt: Er ist arbeitswillig, derzeit vom AMS nicht vermittelbar, hat in Österreich die Grundschule abgeschlossen und damit den Sprachnachweis erbracht. Er muss nicht um Erspartes, das er bis zum Schonbetrag einsetzen müsste, fürchten, da er Schulden und kein Vermögen hat. Aber eben diese Menschen sind – wie die meisten Bezieher*innen von Mindestsicherung – vorübergehend (durchschnittlich acht Monate) auf Nothilfe angewiesen.

Grundsätzlich könnten auch die Leistungen der Versicherungssysteme (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Krankengeld, Pensionsleistungen etc.) „armutsfest“ ausgestaltet werden. Damit könnte das „Aufstocken“ durch BMS oder Sozialhilfe wegfallen, es würden Administrationskosten gespart und entwürdigende Bittstellung vermieden.

Lernen aus Fehlern des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes

Die Kritik an dem schwarz-blauen Prestige-Projekt des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SH-GG) füllte wochenlang Medienberichte. Neben den Oppositionsparteien waren es Organisationen im Sozialbereich und Vertreter*innen der Kirchen und kirchennaher Organisationen, die den Einschnitt in das Leistungssystem problematisierten und die Kluft in der Gesellschaft herannahen sahen.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) entschärfte sehr rasch an zwei entscheidenden Stellen: Der bis zur Unmenschlichkeit reduzierte Höchstbetrag für Kinder – als degressive Leistung konzipiert und damit umso geringer je mehr Kinder eine Familie hat – wurde als verfassungswidrig erkannt und damit die Kürzung aus dem Grundsatzgesetz ersatzlos gestrichen.

Als verfassungswidrig aufgehoben wurde auch die Bindung der vollen Leistungshöhe an den Nachweis von Sprachkenntnissen (Deutsch, Englisch) auf hohem Niveau. Der Argumentation, dass dies für die Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt unerlässlich und damit notwendig im Sinn des Einsatzes der Arbeitskraft sei, konnte sich das Höchstgericht nicht anschließen. Andere Einschränkungen und grundsätzliche Reduktionen hielten – vorerst – vor dem Gericht stand.

Bereits vor diesem VfGH-Erkenntnis hatten die Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich Ausführungsgesetze des SH-GG in Kraft gesetzt, die nach wenigen Monaten wieder verändert und die verfassungswidrigen Passagen herausgenommen werden mussten.

Das war die erste Lehre, die aus den nun höchstgerichtlich festgestellten Fehlern gewonnen werden konnte: Keine zusätzlichen Einschränkungen bei den Kinder-Höchstgrenzen und keine Sprachprüfungen als Voraussetzungen.

Die Landtage von Niederösterreich und Oberösterreich haben in der Zwischenzeit Änderungsgesetze zu den Ausführungsgesetzen beschlossen.

Ob diese den Ansprüchen des VfGH genügen, wird von manchen Expert*innen bezweifelt und sicher noch das Höchstgericht beschäftigen.

Oberösterreich als Beispiel für Probleme von Sozialhilfe Neu

Als Musterschüler der türkis-blauen Sozialsparpolitik beeilte sich Oberösterreich mit der raschen Umsetzung der Vorgabe des Bundes.

Seit Jänner 2020 gelten die Bestimmungen des Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetzes (Oö. SOHAG), mussten aber wegen der teilweisen Aufhebung durch den VfGH gleich wieder durch Landtagsbeschluss am 30. Jänner 2020 rückwirkend ab Jahresbeginn geändert werden.

Die dadurch entstandene Unübersichtlichkeit war nicht nur für die Verwaltung eine Herausforderung, auch Sozialberatungsstellen hatten manchmal Mühe dieses Durcheinander den Hilfesuchenden zu erklären.

Expert*innen der Sozialplattform stellten bei unterschiedlichen Familienkonstellationen fest, dass für die Leistungsbezieher*innen der Sozialhilfe Neu durch die Erkenntnis des VfGH kaum eine Änderung oder gar Verbesserung feststellbar wäre. Nur das Streichen der Sprachprüfung bzw. Ersetzen durch eine verpflichtende Vereinbarung wirkt sich positiv aus.

Vollzug mangelhaft und benachteiligend

Von den Berater*innen wurde aber auch bemerkt, dass bei einigen Bezirksverwaltungsbehörden (BH) wieder ein strenger Ton eingezogen ist, manchmal sogar mit übergriffigen und unangemessenen Tipps.

Oder es werden undurchsichtige Vollzugspraktiken beklagt, wenn beispielsweise bei einem Ehepaar die Sozialhilfe um ein Viertel gekürzt wird, da die Frau nicht im Mietvertrag der gemeinsamen Wohnung namentlich erwähnt ist und so der Wohnaufwand nicht anerkannt wird. Unverständlich und possenhaft, wenn sich Sozialverwaltung so verselbstständigt!

Besondere Probleme bereiten offensichtlich die Übergangsregelungen, die von manchen BHs verwaltungsschonend und leistungsvermeidend ausgelegt werden.

Menschen mit Beeinträchtigungen, die als erwachsene Personen aufgrund einer erheblichen Behinderung zum Bezug der erhöhten Familienbeihilfe berechtigt sind, waren bisher in Oberösterreich durch deren Anrechnung als Einkommen benachteiligt. Die Mindestsicherung wurde dadurch monatlich gekürzt.

Mit dem SH-GG sollte die bestehende Judikatur umgesetzt und sichergestellt werden, dass Leistungen aus dem Familienlastenausgleichsfonds nun nicht als Einkünfte in der Sozialhilfe Neu angerechnet werden dürfen. Ein positiver Effekt der neuen Bundesregelung. Denn so muss es jetzt auch in Oberösterreich umgesetzt werden.

Nur sieht eine Übergangsbestimmung in Oberösterreich vor, dass eine Neuberechnung erst zwingend erfolgen muss, wenn der bisherige Leistungsbescheid ausläuft bzw. muss ein neuer Bescheid mit dann deutlich höheren Leistungen spätestens im Mai 2021 ausgestellt werden. Von verschiedenen gerichtlichen Erwachsenenvertreter*innen wurden bereits im Jänner 2020 mehrere Anträge auf Neuberechnung – weil die Voraussetzungen sich geändert hatten – gestellt.

Nur bei einer vertretenen Person wurde die Neuberechnung umgehend durchgeführt und die Auszahlung verändert. Es steht nun endlich der Erhöhungsbetrag der Familienbeihilfe für behindertenspezifische Mehraufwendungen monatlich zur Verfügung. Wenn jetzt nach Monaten auch noch ein Bescheid ausgestellt wird, scheint die Sozialhilfe-Vollzugs-Welt zumindest für diese eine Person wieder in Ordnung.

Nicht so positiv gelaufen ist es bei der überwiegenden Zahl der Antragstellungen auf Neuberechnung der Leistung: Hier wurden die Anträge einfach abgewiesen und forderten Rechtsmittel – die noch nicht entschieden sind – heraus. Oder es wird von den Sozialhilfe-Referent*innen die Bearbeitung einfach verweigert.

Wenn sich keine Erledigung einstellt, könnten Beschwerden überlegt werden. Alles sehr mühsam und für die Menschen in materieller Not eine schwere Last und Zumutung. Gar nicht davon zu reden, dass diesen Verwaltungsdschungel ein Laie kaum durchblickt.

Die Mindestsicherung ist das bessere System

Ein Vergleich zwischen den alten Mindestsicherungsleistungen und den Unterstützungen der Sozialhilfe Neu ergibt beim Beispiel Oberösterreich große Unterschiede. Denn für Haushalte mit mehr als einer Person wurden die Leistungen für jeden um fünf Prozent (Berechnungsgrundlage: Ausgleichszulage der Pension) gekürzt.

Mehrpersonenhaushalte sind dadurch besonders betroffen. Die Richtsätze für Kinder bleiben trotz korrigierendem Eingriff des VfGH weiter zu niedrig und verfestigen Armut in Familien. Die Liste der Nachteile und Benachteiligungen, der ausgegrenzten Personengruppen bleibt lang.

Aktuell entsteht in Österreich ein neuer unübersichtlicher Sozialhilfe-Fleckerlteppich. Es wird wieder vom Zufall des Wohnortes abhängen, wie hoch die Leistung in der Sozialhilfe ist und welche Verwaltungshindernisse aufgebaut wurden.

Es besteht weiterhin dringender Reformbedarf!

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3 Kommentare

  • Ich betreue meine Erwachsene behinderte Tochter. Nun wird mir die wohnbeihilfe zr Gänze abgezogen und der gesamte Alleinerzieher!!!! Von der Höhe der Sonstigen Kürzung gar nicht erst zu reden.
    Das kann doch nich sein

  • Die Anrechnung vom Pflegegeld eines pflegebedürftigen Angehörigen bei einem pflegenden Eltern(teil) finde ich überhaupt die ärgste Schande! Dem Staat würde die Pflege um ein Vielfaches mehr kosten, wenn dies nicht Angehörige übernehmen würden. Und die werden dann noch bestraft dafür, dass sie höchstens um ein Taschengeld rund-um-die-Uhr bei ihrem Kind oder PartnerIn anwesend sind und pflegen, bis sie selbst nimmer können.
    Der Vater wird dann zusätzlich noch zum Unterhalt seines pflegebedürftigen Kindes verpflichtet. Das Unrecht schreit zum Himmel – besonders in OÖ!

  • Es gibt aktuelle gravierende Unschärfen bei der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen. Diese sorgen für große Verunsicherung. So zum Beispiel die Frage der Wohngemeinschaft und der Anrechenbarkeit der Einkommen aller in der Wohngemeinschaft lebenden Personen. So wurden im Falle von Menschen mit Beeinträchtigung, therapeutische Wohngemeinschaften explizit ausgenommen. Leider zeigt ein aktuelles Urteil, dass dieser Begriff sehr eng ausgelegt wird, zum Nachteil der Betroffenen in einer WG. Gleiches gilt auch für die Unterhaltspflicht von nahen Angehörigen (zumeist Eltern). Auch hier wird teilweise eine sehr strenge Auslegung gepflogen. Auch für pflegende Angehörige, die keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen können, bedeutet die Reduktion der Sozialhilfesätze eine kaum mehr zu lösende Finanzierungsproblematik, zumal das Pflegegeld als Einkommen (die Bewertung des Pflegegeldes als Einkommen war auch bereits vor dem SOHAG in OÖ geregelt) gerechnet wird. Wenn nun Aufwendungen aus dem Titel der Behinderung gegengerechnet werden, so führt das in der Praxis zu sehr hohem bürokratischem Aufwand. Ein Bürokratiemonster, dass oft von den ohnehin belasteten Angehörigen kaum mehr bewältigbar ist.