Das Wiener Antidiskriminierungsgesetz schützt behinderte Menschen nicht. Seit Jahren weisen Behindertenorganisationen auf diesen Mangel hin, aber die zuständige Wiener Stadträtin, Sandra Frauenberger (SPÖ), nimmt dieses Umstand in Kauf.

Das Wiener Antidiskriminierungsgesetz (Wr. ADG) – oder wie das Gesetz im Langtitel heißt: „Gesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung“ – soll Gruppen von Personen in Angelegenheiten schützen, „sofern diese Angelegenheiten in die Regelungskompetenz des Landes fallen“, wie es im Gesetz heißt.
Verhandelt und beschlossen wurde es mitten in den Wirren der Schaffung des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG). Bekanntlich sollte das BGStG behinderte Menschen umfassend auf Bundes- und auf Länderebene schützen, doch dies scheitere am Widerstand der Bundesländer, die sich nicht in die Gesetzgebungskompetenz eingreifen lassen wollten. So kam es, dass im BGStG keine Wirkung im Kompetenzbereich der Bundesländer entfalten kann.
Länder ergänzten Landesgesetze
Die Bundesländer trugen dieser Entwicklung in den jeweiligen Landesgesetzen zur Antidiskriminierung Rechnung und alle Bundesländer – mit Ausnahme von Wien und NÖ – haben einen umfassenden Diskriminierungsschutz in Landesgesetzen festgeschrieben.
Wiens Verhinderungsspielchen
Seit nun klar ist, dass das Land Wien für den Diskriminierungsschutz behinderter Menschen im Landesbereich zuständig ist, wird mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten versucht, die Aufnahme behinderter Menschen ins Wr. ADG zu verhindern. Seit Jänner 2007 ist Sandra Frauenberger (SPÖ) amtsführende Wiener Stadträtin.
Zuerst wurde eine Aufnahme behinderter Menschen ins Wr. ADG mit dem Hinweis abgeschmettert, dass Behindertenorganisationen dies gar nicht wollten. Dies ist unwahr, weil spätestens seit dem Jahr 2006 und dem Inkrafttreten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes klar war, dass auch in Wien dringender Handlungsbedarf besteht.
Im Jahr 2007 wurde das Wr. ADG novelliert. Der Diskriminierungsgrund „Behinderung“ wurde bewusst wieder nicht ins Gesetz aufgenommen, obwohl das im Rahmen der Stellungnahmen mehrfach gefordert worden war. Sowohl die ÖAR als auch BIZEPS und der Klagsverband hatten dies nachdrücklich; wenn auch erfolglos. Auch die GRÜNEN und die ÖVP bemängelten dieses Versäumnis.
Die SPÖ argumentierte damals wider besseren Wissens noch immer damit, dass angeblich behinderte Menschen gar nicht geschützt werden wollten.
Die Volksanwaltschaft forderte im August 2008 unter Berufung auf das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen – einen einheitlichen und umfangreichen Schutzstandard für alle Diskriminierungsgründe. („Die Beschwerden betrafen unterschiedliche Diskriminierungsgründe, wobei vermutete Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft und aufgrund Krankheit oder Behinderung ein zahlenmäßiges Schwergewicht bildeten.“)
SPÖ stimmt nun auch zu
Anfang Oktober 2008 kam Hoffnung auf. Die ÖVP gab bekannt, dass die SPÖ einem diesbezüglichen Mehrheitsantrag zustimmen wird. Am 2. Oktober 2008 wurde dieser im Wiener Landtag EINSTIMMIG beschlossen. Im Antrag stand: „Der Tatbestand der Diskriminierung von natürlichen Personen aufgrund einer Behinderung wird in das Wiener Antidiskriminierungsgesetz aufgenommen. Das Gesetz möge entsprechend novelliert werden.“
Der Antrag wurde zur Bearbeitung an „die zuständige amtsführende Stadträtin für Integration, Frauenfragen, KonsumentInnenschutz und Personal“ verwiesen.
Frauenberger untätig
Im Frühjahr 2009 stand wieder eine Novelle des Wr. ADG an und wieder forderten die einschlägigen Organisationen (siehe Stellungnahme Klagsverband) die Aufnahme des Grundes „Behinderung“ in das Gesetz.
Im April 2009 beschloss die Wiener Interessensvertretung behinderter Menschen, das Gremium, welches nach Wiener Behindertengesetz die Landesregierung berät und mit behinderten Expertinnen und Experten besetzt ist, die Forderung um Ergänzung des Wr. ADG und zusätzlich ruft es die zuständige Stadträtin auf, „möglichst bald einen diesbezüglichen Novellierungsvorschlag dem Wiener Landtag zu übermitteln“.
Nun änderten die Wiener Stadträtin und ihre Beamtinnen und Beamten die Vorgangsweise. Da niemand mehr der Argumentation glauben schenkte, dass Behindertenorganisationen sich gegen die Aufnahme in das Gesetz wehren (weil sie exakt diese Aufnahme seit Jahren vehement fordern) und auch der Landtag einstimmig eine Vorlage wünschte, wurde ein neues Argument erfunden: Wir warten auf die EU.
In einem mehrseitigen Schreiben (MA 62-I-22927/2009) geht Dr. Christine Bachofner, die Abteilungsleiterin der zuständigen MA 62, auf die Forderung ein und begründet, warum angeblich schon kein Handlungsbedarf mehr bestehe. Sie erwähnt das Baurecht und die darin enthaltene Vorgabe der Barrierefreiheit ebenso, wie das Angebot der Integration und der Sonderschulen. Im Schreiben wird festgehalten, dass man sich für eine gesetzliche Verankerung eines allgemeinen Diskriminierungsverbotes ausspricht, doch man möchte auf die EU warten.
Diese Argumentationslinie ist deswegen schon sehr entlarvend, weil sie klar zeigt, dass die Integrations(!)-Stadträtin Antidiskriminierung von behinderten Menschen nur dann zulässt, wenn es ihr die EU ultimativ vorschreibt. Etwas freundlicher formuliert dies der Klagsverband, wenn er schreibt: „Sollte Wien auf die EU-Richtlinie warten – deren Erlassung noch mehrere Jahre dauern kann und die dann noch eine mehrjährige Umsetzungsfrist gewährt – entstünde der Eindruck, dass Wien nur auf Druck der EU den absoluten Mindeststandard umsetzt.“
Frauenberger zeigt kein Interesse
Es folgt ein Termin am 14. Juli 2009 der Wiener Interessensvertretung der behinderter Menschen bei Stadträtin Frauenberger. Diese hinterfragt mehrfach die Sinnhaftigkeit des Diskriminierungsschutzes, ohne jedoch klar dagegen Stellung zu beziehen. Da sie keine Vorarbeiten geleistet hat – obwohl der Landtag sie 9 Monate (!) vorher schon dazu aufgefordert hatte – bleibt nicht anderes übrig, als einen Termin im Herbst zu vereinbaren. Bis dahin werde sie sich bei den anderen Stadträtinnen und Stadträten erkundigen, hält sie fest.
Dieser Folgetermin am 23. Oktober 2009 verlief äußerst ernüchternd. Die Stadträtin konnte daran nicht teilnehmen, weil sie verhindert sei, wurde mitgeteilt. Diese Tatsache wäre an sich nicht berichtenswert.
Wie die Besprechung ablief, war aber höchst interessant: Man teilte der Wiener Interessensvertretung mit, dass noch nicht alle Stadträtinnen und Stadträte auf Frauenbergers Anfrage geantwortet hätten. Man wollte aber in der Sitzung auch nicht über jene Antworten sprechen, die es angeblich schon gab. Es blieb Abteilungsleiterin Bachofner nichts anderes übrig, als immer und immer wieder das gleiche Argument zu wiederholen: Man warte auf die EU.
Am Ende der äußerst kurzen Besprechung wurde vom Stadtratbüro und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der MA 62 mitgeteilt, dass die Stadträtin bis Jahresende 2009 auf die EU warten wolle. Erst wenn diese keine Ergebnisse vorweisen könne, werde man Anfang 2010 einen Gesetzesentwurf vorlegen.
Frauenberger hält Zusagen nicht ein
Da die Stadträtin auch diese Zusage nicht einhielt, „erinnerte“ die Wiener Interessensvertretung der behinderten Menschen sie am 5. Februar 2010 schriftlich an die angekündigte Vorlage des Gesetzesentwurfes und lud sie ein, den Novelierungsvorschlag im Rahmen der Sitzung am 13. April 2010 vorzustellen.
Doch Fraunberger hat kein Interesse. Sie ließ am 24. März 2010 die Wiener Interessensvertretung wissen, dass sie nicht kommen werde. Es wurden auch keine Vertreterinnen bzw. Vertreter geschickt und – trotz ausdrücklicher Nachfrage – kein Ersatztermin angeboten.
Am 13. April 2010 beschloss daher die Wiener Interessensvertretung, die Öffentlichkeit über die von der Stadträtin gewählte Verweigerungshaltung zu informieren.
Martin Ladstätter,
20.04.2010, 16:43
@ Gertrude Sladek: Ich hab mir den Entwurf rund eine halbe Stunden durchgelesen. Für eine seriöse Bewertung ist das eindeutig zu wenig und daher werde ich – und einige andere – den Entwurf in den nächsten Tagen GENAU analysieren. Wie immer wird es dann einen umfangreichen Kommentar dazu geben.
Gertrude Sladek,
20.04.2010, 16:27
@ Lukas! So köstlich: Dein Eintrag um 11:16 Uhr mit dem Wortlaut.: Der Stern der Wiener SPÖ sinkt bereits vor den kommenden Gemeinderatswahlen …
@ Martin! Zu Deinem etwas mehr als eine Stunde später erfolgten Nachtrag: Wie sieht denn der Entwurf aus, magst Du uns nicht mehr verraten? Ist der Stern noch in Gefahr? Naja, so ist das im Kosmos!;-) nicht nur dort, sondern auch hier auch in der Politlandschaft.
sandra,
20.04.2010, 13:52
Beim Thema Antidiskriminierungsgesetz fallen mir noch mehr Problematiken auf. Wie z.B.: Persönliche Assistenz.: Dürfen NUR geistig gesunde Menschen in Anspruch nehmen,die körperlich eingeschränkt, oder im Rollstuhl sitzen und alles selbst bestimmen können. Geistig schwerstbehinderte Kinder, Jugendliche, und Erwachsene haben doch auch Hilfe nötig, sogar meiner Meinung nach noch viel mehr, da sie KEINE einzige Sekunde aus den Augen gelassen werden können, meist aufgrund Eigen-und Fremdgefährdung. Warum wird dieser Personenkreis, der es eh schon immer schwerer gehabt hat, und noch viel mehr auf Betreuung angewiesen ist von diversen Angeboten ausgenommen?
Wahrscheinlich ist es wieder mal das liebe Geld! Vor drei Jahren habe ich meine Tochter für ein PILOTPROJEKT der persönl. Assistenz gmbH angemeldet, mir wurde leider mitgeteilt, dass seitens der Länder die bestehenden und benötigten Subwentionen für die Zukunft, die nötig wären, um eben diese Assistenz für ALLE ausbauen zu können, gekürzt wurden und noch immer werden. Schöne Politik, die auf Kosten der Schwächeren wieder mal geht!
sandra,
20.04.2010, 13:41
Ob in diesem Antidiskriminierungsgesetz wohl dann drinnen steht, dass behinderte Kinder auch genauso wie gesunde Kinder das Recht auf einen Kindergartenplatz haben, oder ob es so wie in der Vergangenheit wieder so gehandhabt wird? Nämlich: Geistig schwerstbehinderte mobile Kinder nur 11 Stunden im Gemeindekindergarten zu DULDEN (die gesunden Kinder aber 33 Stunden die Woche), mit der Begründung: „Seid froh in dieser Zeit zu leben, früher hatten solche Kinder keine Möglichkeit im eigenen Wohnort auch nur eine Stunde GENOMMEN zu werden!“, … Ich spreche aus eigener Erfahrung.
Aber solange es nicht im Gesetz verankert ist, dass ALLE Kinder das gleiche Recht haben, und solange noch immer die Gemeinden für die Kindergärten zuständig sind (wie in unserem Fall eine Abgangsgemeinde, die eh hinten und vorne kein Geld hat), lässt sich Integration eben nur halbherzig umsetzen, da KEIN Bürgermeister auf Grund eines lästigen behinderten Kindes wie meinens Schulden machen will.
Wäre diese Thematik finanziell besser abgesichert, wäre alles besser. Jetzt werden die Gemeinden noch sich selbst überlassen, wenn kein Geld da ist, oder wenn der Bürgermeister eben andere Sachen für wichtiger hält, sind die behinderten Kinder noch immer die Leidtragenden. Das sagt eh schon viel aus: Behinderte Kinder sind vom Gratiskindergarten für Alle ausgenommen! Warum? Erklärung siehe oben! Ist das gerecht?
Klaudia Karoliny,
20.04.2010, 10:18
Uns passiert sowas in gleicher Weise gerade hinsichtlich unseres Schei… Oö. ChGs in Oberösterreich. Zuständige Politiker weigern sich, mit uns Betroffenen überhaupt auszutauschen – geben uns schlichtweg keinen Termin! DAFÜR werden sie teuer bezahlt und „zocken“ uns beh. Menschen ab.
derpradler,
19.04.2010, 16:26
Schon bald sind Wahlen! Da können die Wiener(innen) der arroganten SPÖ die Rechnung präsentieren!
Gerhard Lichtenauer,
19.04.2010, 12:34
In Wien kennen wir also nun namentlich Verantwortliche, welche die lange Tradition der österreichischen AmtsMissBrauchtumsPflege fortsetzen wollen. Wer sind aber Niederösterreichs Unverantwortliche in der Landesregierung, die behinderten Menschen ihre in internationalen Staatsverträgen und der Bundesverfassung verbürgten Rechte wissentlich, vorsätzlich, wiederholt und anhaltend vorenthalten?
Wann endlich wird in Österreich gegen die systemische hoheitliche Delinquenz vorgegangen? Es wird Zeit für ein Großreinemachen gegen die menschenrechtsfeindliche Legislative der Bundesländer und für eine tiefgreifende Verfassungs- und Verwaltungsreform, JETZT!
Martin Ladstätter,
19.04.2010, 12:28
Nachtrag: Soeben wurden wir informiert, dass es einen umfangreichen Gesetzesentwurf der Stadträtin (Datum: 19. Juli 2010) gibt, den man uns auch zur Verfügung stellte. Es wird auch einen diesbezüglichen Gesprächstermin geben.
Lukas Huber,
19.04.2010, 11:16
Der Stern der Wiener SPÖ sinkt bereits vor den kommenden Gemeinderatswahlen …