Wiener Landtag beschließt einstimmig Bauordnungsnovelle zum barrierefreien Bauen

In der Sitzung des Wiener Landtages am 30. Juni 2004 wurde nun die seitens der ExpertInnen der Menschen mit Behinderungen scharf kritisierte Novelle zur Wiener Bauordnung und zum Wiener Garagengesetz von den Rathausparteien einstimmig beschlossen.

Wiener Rathaus
BIZEPS

Seit Mai 2003 schlugen die Wogen rund um die geplante Novelle zur Wiener Bauordnung und zum Wiener Garagengesetz, mit der insbesondere weitergehende Bestimmungen zum barrierefreien Bauen aufgenommen werden sollten, seitens der ExpertInnen der Behindertenbewegung hoch.

Kritisiert wurde vor allem, dass der Entwurf im Gegensatz zu jenem, der in den letzten drei Jahren in Zusammenarbeit der Stadt Wien mit den behinderten ExpertInnen in einer eigenen Arbeitsgruppe der gemeinderätlichen Behindertenkommission erarbeitet wurde, so gut wie keine Maßnahmen für sinnesbehinderte Menschen enthielt, ja diese sogar weitestgehend aus dem von den Regelungen zum barrierefreien Bauen betroffenen Personenkreis ausschloss, und dass auch die Maßnahmen für körperbehinderte Menschen teilweise stark zu wünschen übrig ließen.

Die Interessenvertretungen der sehbehinderten und blinden Menschen verabschiedeten und übergaben der Stadt Wien deshalb eine Resolution zur behindertendiskriminierenden Wiener Bauordnungsnovelle. Ja man ortete sogar eine Verfassungswidrigkeit dieser Bauordnungsnovelle. Und auch auf die seitens der ExpertInnen der Behindertenbewegung vehement geforderte Maßnahme, die ÖNORM B 1600 – barrierefreies Bauen und Planen – für verbindlich zu erklären, ging die Stadt Wien, anders als andere Bundesländer, nicht ein.

Hier ein kurzer Überblick zur beschlossenen Novelle:

Positiv zu vermerken ist, dass nun nach dem Wiener Baurecht die Grundsätze des barrierefreien Planens und Bauens verbindlich zu berücksichtigen sind und, dass die Gegebenheiten, insbesondere auch hinsichtlich einer barrierefreien Gestaltung, die für die Bevölkerung eine weitgehend selbständige Nutzung aller Lebensbereiche ermöglichen soll, zu erheben sind. Als Grundsätze des barrierefreien Planens und Bauens, die nun in die Wiener Bauordnung aufgenommen wurden wären etwa zu nennen:

  • die barrierefreie und leicht anpassbare Gestaltung
  • die barrierefreie und für behinderte Menschen gefahrlose Zugänglichkeit und Benützbarkeit
  • die Einhaltung der Erfahrungen der technischen Wissenschaften bei der Ausgestaltung behindertengerechter WCs

Dass die Grundsätze des barrierefreien Planens und Bauens tatsächlich eingehalten werden, ist nun vom Planverfasser auch zu bestätigen

Dennoch besteht die Möglichkeit, die Bestimmungen des barrierefreien Bauens im Einzelfall nicht vollständig einhalten zu müssen; dabei kommt es lediglich auf eine Interessensabwägung an.

Inhaltlich ist man aber auch diesmal wieder nicht entsprechend auf die so wichtigen Details des barrierefreien Planens und Bauens eingegangen, sondern hat primär Wendekreise, Durchgangshöhen und -breiten sowie Grundflächenabmessungen neu normiert.

Als etwas detailliertere Maßnahmen des barrierefreien Bauens in dieser Novelle zur Wiener Bauordnung und zum Wiener Garagengesetz seien folgende hervorgehoben:

  • Kinder- und Kleinkinderspielplätze sowie Gemeinschaftsräume in Gebäuden müssen barrierefrei zugänglich und benützbar sein
  • verpflichtende Radabweiser bei Rampen mit einem Niveauunterschied von zumindest 10 cm sind nun vorgesehen
  • verpflichtende Personenaufzüge in Gebäuden mit zumindest drei Hauptgeschossen sind nun vorgeschrieben
  • in Beherbergungsbetrieben und Heimen mit mehr als 20 Unterkunftsräumen müssen für die ersten 20 Unterkunftsräume eine Wohneinheit und für je weitere 50 Unterkunftsräume eine weitere Wohneinheit den Anforderungen an barrierefreies Bauen entsprechen
  • bei Anlagen zum Einstellen von mehr als 30 Kraftfahrzeugen ist für jeweils angefangene 50 Stellplätze ein Behindertenstellplatz herzustellen
  • solche Garagen müssen auch zusätzlich entweder einen barrierefrei erreichbaren direkt oder über einen barrierefreien Verbindungsgang ins Freie führenden Aufzug oder eine mit einer maschinellen Aufstiegshilfe ausgestattete, direkt ins Freie führende Stiege haben

Für sehbehinderte und blinde Menschen ist, auch wenn sich die Grundsätze des barrierefreien Planens und Bauens in der Wiener Bauordnung nun auf alle behinderten Menschen beziehen sollten, lediglich eine einzige konkrete Maßnahme übrig geblieben. Nach dem neuen § 106a Abs. 11 sind nun freitragende Treppen, Rampen u.dgl. außerhalb von Wohnungen oder Betriebseinheiten, bis zu einer lichten Höhe von 2,10 m durch Gestaltungselemente, Bügel, Querstangen Rahmen u.dgl., gegen das Unterlaufen abzusichern.

Die Verletzungsgefahren bei nicht entsprechend gekennzeichneten großen Glasflächen für sehbehinderte Menschen und bei auskragenden Gegenständen, wie z. B. Briefkästen, für sehbehinderte und blinde Menschen bleiben somit auch weiterhin gelebte Realität und nach dem Wiener Baurecht ungeahndet. Und Aufzüge mit Sprachausgabe und tastbarer Beschriftung der Bedienelemente sowie tastbare Bodenleitsysteme etc. bleiben ebenfalls reine Glückssache, da sie in der Novelle mit Schwerpunkt „barrierefreies Planen und Bauen“ in Wien keinen Platz gefunden haben.

Auch die ÖNORM B 1600 – barrierefreies Planen und Bauen – wurde mit dieser Baurechtsnovelle nicht für verbindlich anwendbar erklärt.

Und zuletzt sollte man noch erwähnen, dass die Novelle erst drei Monate nach ihrer Kundmachung im Landesgesetzblatt für Wien in Kraft tritt und diese neuen Bestimmungen zum barrierefreien Planen und Bauen auch für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängige Bauverfahren nicht gelten. Da nimmt es nicht Wunder, wenn sich Bauträger bemühen, so rasch wie möglich noch bis zu diesem Termin ihre Bauprojekte einzureichen.

Der immer wieder angekündigte „große Wurf“ im Bereich barrierefreies Planen und Bauen ist dem Land Wien damit nicht gelungen, bestenfalls ein erster Schritt in Richtung eines „großen Wurfes“, der jedenfalls noch weitere Schritte nötig macht; und auch die Erwartungen, dass sich dadurch wesentlich etwas für Menschen mit Behinderungen im Bausektor Wiens verbessern wird, werden durch diese Novelle stark gebremst. Die zahlreichen verärgerten Proteste gegen Bausünden betreffend mangelnde Barrierefreiheit in Wiener Bauprojekten dürften wohl dadurch kaum verhindert werden.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich