Wurzinger: „Ich erwarte mir eine Aufwertung der Behinderungsthematik in der Prioritätenskala der EU“

Die EU wird im August 2015 auf Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention geprüft. Wir interviewten dazu im Vorfeld Mag.a Christina Wurzinger, Referentin für europäische und internationale Angelegenheiten bei der ÖAR.

Christina Wurzinger
Stefan Pauser

In der 14. Session des UN-Fachausschuss vom 17. August bis 4. September 2015 wird am UN-Standort Genf die Europäische Union bezüglich Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention geprüft. Wahrscheinlich wird dies am 27. und 28. August 2015 stattfinden. (Österreichs Staatenprüfung fand im Jahr 2013 statt.)

Warum wird die EU geprüft?

BIZEPS-INFO: Die EU ist ein Staatenverbund und kein Staat. Warum hat die EU die UN-Behindertenrechtskonvention überhaupt ratifiziert?

Mag.a Christina Wurzinger (ÖAR): Weil es viele, auch für den Behindertenbereich relevante Bereiche gibt, die in EU-Kompetenz liegen, wie z.B. Aspekte der Sozialpolitik, Verkehr, Binnenmarkt, etc. Dabei handelt es sich um alleinige oder geteilte Zuständigkeiten zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten.

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist der erste UN-Menschenrechtsvertrag, dem die EU als solche beigetreten ist und nimmt damit eine besondere Stellung ein. Hinzu kommt, dass alle EU-Mitgliedstaaten auch Vertragsstaaten der UN-Behindertenrechtskonvention sind.

Wurzinger: UN-Behindertenrechtskonvention bindet auch die Institutionen der EU

BIZEPS-INFO: Für welche Bereiche der EU gilt die Prüfung?

Christina Wurzinger: Die UN-Behindertenrechtskonvention bindet die Institutionen der Europäischen Union (also auch Kommission, Parlament und Rat), sowie die Mitgliedstaaten in der Ausübung von EU-Recht.

Das heißt, dass alle Rechtsvorschriften, politischen Maßnahmen und Programme auf EU-Ebene mit den Vorgaben der Konvention übereinstimmen müssen. Die Prüfungsliste für die EU beinhaltet fast alle Rechte, die in der UN-Behindertenrechtskonvention verbrieft sind.

BIZEPS-INFO: Wo könnte es derzeit Probleme bei der EU geben und was kritisiert die Zivilgesellschaft im Vorfeld der Prüfung?

Christina Wurzinger: Die Europäische Behindertenforum (EDF) hat in einem Europäischen Zivilgesellschaftsbericht 14 Hauptforderungen aufgestellt.

Hier werden zum Beispiel die mangelnden Möglichkeiten zur Partizipation von Menschen mit Behinderungen auf EU-Ebene, die verbesserungswürdige EU-Gesetzgebung im Bereich der Anti-Diskriminierung, die missbräuchliche Verwendung von EU-Strukturfonds, der Mangel an adäquaten Daten und Statistiken sowie die fehlende Unabhängigkeit des Europäischen Monitoringmechanismus, aber auch noch weitere wesentliche Mängel kritisiert.

Überprüfung der EU durch ein UN-Menschenrechtsgremium ist ein historisches Ereignis

BIZEPS-INFO: Was erwarten Sie von der Prüfung der EU konkret?

Christina Wurzinger: Die erstmalige Überprüfung der EU durch ein UN-Menschenrechtsgremium ist ein historisches Ereignis. Ich erwarte mir eine Aufwertung der Behinderungsthematik in der Prioritätenskala der Europäischen Union und ein offizielles Aufzeigen bestehender Missstände.

Außerdem stellen die Empfehlungen, die als Ergebnis der Prüfung an die EU ergehen, ein wichtiges Instrument für die anwaltschaftliche Arbeit der europäischen Zivilgesellschaft dar.  

Ist das für Österreich relevant?

BIZEPS-INFO: Welche Relevanz kann das für Österreich bzw. für uns Bürgerinnen und Bürger in Österreich haben?

Christina Wurzinger: Es besteht der Grundsatz des Vorrangs von EU-Recht vor nationalem Recht. Würde zum Beispiel der von der Zivilgesellschaft geforderte Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit von der EU beschlossen werden, so müsste dieser in allen Mitgliedstaaten der EU entweder direkt angewendet werden (gilt für EU-Verordnungen) oder bis zu einem vorgegebenen Termin in nationales Recht gegossen werden (im Falle von EU-Richtlinien).

Letzteres gilt auch für die geforderte Anti-Diskriminierungsrichtlinie, die sich aktuell wieder in Diskussion befindet. Dies würde nicht nur die Situation von Menschen mit Behinderungen in manchen Mitgliedstaaten verbessern, sondern auch eine europaweite Harmonisierung von Mindeststandards im Behindertenbereich vorantreiben.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich