Bericht zu Selbstbestimmtem Leben und De-Institutionalisierung für ANED

In diesem Text geht es um De-Institutionalisierung. De-Institutionalisierung bedeutet: ich lebe nicht mehr in einem Heim, sondern ich lebe dort, wo ich will und mit wem ich will. Es bedeutet also: Raus aus dem Heim!

Man sieht eine Mauer, die ein großes Loch hat. Behinderte Menschen sind durch diese Loch ins Freie gegangen und machen erfreut Musik. Der Cartoon hat den Text: Reißt die Mauern nieder
WIBS

Im Winter 2017 habe ich für BIZEPS einen Text geschrieben – der Text hieß „Rückblick auf 10 Jahre ANED (Akademisches Netzwerk europäischer BehinderungsforscherInnen“. Dort erkläre ich, was ANED ist und warum es ANED gibt.

ANED ist eine große Gruppe von Menschen. Diese Menschen kommen aus ganz Europa. Und diese Menschen forschen gemeinsam zum Thema Behinderung. Leider endet die Arbeit von ANED mit Mai 2019. Das ist schlecht. Denn es ist wichtig, dass es Berichte gibt, wie es Menschen mit Behinderungen in Österreich ergeht.

In den letzten Jahren habe ich gemeinsam mit Petra Flieger für Österreich Jahr für Jahr verschiedene Berichte für ANED geschrieben. Alle diese Berichte waren zu wichtigen Themen. Leider sind die Texte für ANED alle auf Englisch und in Schwerer Sprache geschrieben. Daher liest sie kaum jemand in Österreich. Petra Flieger und mir ist es wichtig, dass viele Menschen in Österreich unsere Texte für ANED lesen. Denn da steht viel drin, was für Menschen mit Behinderungen in Österreich der Alltag ist.

Daher schreibe ich heute diesen Text.

In unserem letzten Bericht für ANED geht es um das wichtige Thema Selbstbestimmtes Leben. In diesem Text geht es um De-Institutionalisierung. De-Institutionalisierung bedeutet: ich lebe nicht mehr in einem Heim, sondern ich lebe dort, wo ich will und mit wem ich will. Es bedeutet also: Raus aus dem Heim!

Der Bericht ist auf Englisch verfügbar unter https://www.disability-europe.net/country/austria (dort unter: Country report on Living independently and being included in the community – Austria; auf Deutsch: Länderbericht zu Selbstbestimmtem Leben und der Inklusion in die Gemeinschaft – Österreich).

Der Bericht zu Selbstbestimmtem Leben in Österreich war der frustrierendste Bericht, den wir jemals für ANED geschrieben haben. Frustrierend bedeutet: jemand ist über etwas traurig, enttäuscht und entsetzt.

Der Bericht zu Selbstbestimmtem Leben in Österreich ist 27 Seiten lang. Der Text besteht aus folgenden Teilen (Kapiteln):

Im Teil A des Textes geht es um allgemeine Informationen und statistische Daten (also um vorhandene Zahlen zum Thema Selbstbestimmtes Leben). Teil A besteht aus folgenden Themenfeldern:

Es geht um die gegenwärtige Situation (also, wie sieht es derzeit aus?), um Verpflichtungen der Regierung (also, welche Pläne und Ziele gibt es, um in Österreich Selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen?), um die Implementierung und Überwachung (also, was passiert wirklich und wie wird das überprüft?), und um die Auswirkungen und Ergebnisse (also, was bedeutet das konkret für das Leben von Menschen mit Behinderungen?).

Teil B des Textes ist eine kritische Einschätzung und Bewertung der Situation in Österreich (wie sieht es also konkret aus? Was wird gesagt, was wird getan? Was ist noch alles zu tun?)

Es geht in Teil B um die Empfehlungen des UN Komitees zur Überwachung der Umsetzung der UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) in Genf  und um andere Monitoringstellen bis hin zu den Empfehlungen des Parlaments, es geht um die Ansichten der Zivilgesellschaft (zum Beispiel Organisationen von Menschen mit Behinderungen) zum Thema Selbstbestimmtes Leben, wie auch um wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema.

Im Teil C des Textes geht es um gute und schlechte Entwicklungen in Bezug auf Selbstbestimmtes Leben in Österreich und um so genannte Policy Empfehlungen (das bedeutet: man schreibt, was getan werden sollte, damit die Situation besser wird).

Kurz zusammengefasst (genau kann man das im Bericht selbst nachlesen) ist das Ergebnis des Berichts zu Selbstbestimmtem Leben sehr ernüchternd. Ernüchternd bedeutet: etwas ist enttäuschend und unerfreulich.

Warum?

Es gibt in Österreich kein umfassendes Programm, keine umfassenden konkreten Pläne oder Strategien zur De-Institutionalisierung. Die Wahlmöglichkeit (also, wo ich selbstbestimmt leben möchte), die die UN-BRK vorgibt, gibt es für Menschen mit Behinderungen in Österreich immer noch nicht wirklich.

Das heißt: Es gibt keinen Plan, Selbstbestimmtes Leben wirklich und bald einmal in Österreich umzusetzen.

Es gibt in Österreich keine offiziellen Zahlen zu den Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen/Heimen leben. Die Zahl von etwa 13.000 Personen wird immer wieder angeführt, aber es gibt keine genauen Zahlen dazu.

Das heißt: Man weiß nicht genau, wie viele Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen leben.

Es werden in Österreich nach wie vor Einrichtungen/Heime für Menschen mit Behinderungen gebaut, anstatt Heime zu schließen (im Sinne der De-Institutionalisierung). Aber es gibt nicht genügend Unterstützung für Menschen mit Behinderungen außerhalb von Einrichtungen, zum Beispiel Persönliche Assistenz.

Das heißt: Österreich macht damit genau das, was die UN-BRK verbietet.

Es werden in Österreich Menschen mit Behinderungen aus großen Einrichtungen/Heimen einfach aufgeteilt in kleine Einrichtungen. Das  nennt man dann De-Institutionalisierung. De-Institutionalisierung ist aber mehr als nur ein Aufteilen. Denn De-Institutionalisierung als wichtiger Weg zu Selbstbestimmtem Leben bedeutet: Ich lebe selbstbestimmt in einem Umfeld, das ich selber wähle und will. Viele Menschen mit Behinderungen haben in Österreich nicht die Möglichkeit, dass sie wählen, wo und mit wem sie leben.

Das heißt: In Österreich wird der Begriff der De-Institutionalisierung manchmal auch absichtlich falsch verstanden und danach gehandelt. 

Es werden in Österreich Kinder mit Behinderungen und die De-Institutionalisierung von ihnen überhaupt nicht besprochen.

Das heißt: Keiner denkt in Österreich darüber nach, wie es Kindern mit Behinderungen in Heimen geht und wie man Kinder mit Behinderungen aus Heimen herausbringen kann. Oder wie man Familien gut unterstützen kann, damit die Kinder mit Behinderungen nicht in ein Heim müssen.

Es werden in Österreich Menschen mit Behinderungen in Heime für alte/ältere Menschen gegeben.

Das heißt: Man steckt in Österreich einfach Menschen in Heime und denkt nicht nach, wie es ihnen dort ergeht. Wie geht es zum Beispiel einem jungen Menschen mit Behinderungen in einem Heim mit lauter ganz alten Menschen? Dazu gibt es auch Zahlen: Im Jahr 2017 haben in Österreich insgesamt 2.621 Menschen, die jünger als 60 Jahre sind, in Alters- oder Pflegeheimen gelebt.

Es gibt viele kritische Aussagen zu den Schwierigkeiten bei der De-Institutionalisierung in Österreich. Aber diese kritischen Aussagen werden einfach ignoriert. Den Politikern und Politikerinnen ist das egal.

Das heißt: Die Politiker und Politikerinnen in Österreich nehmen nicht ernst, dass es viel Kritik gibt und dass sich etwas ändern muss.

Das alles ist sehr erschreckend. Wir müssen in Österreich seit 2008 die UN-BRK umsetzen. Der wichtigste Punkt der UN-BRK ist Selbstbestimmtes Leben. Unser Bericht für ANED zeigt: Wir sind in Österreich noch weit weg von einer guten Umsetzung der UN-BRK. 11 Jahre nach dem rechtlichen Gültigmachen (das nennt man Ratifikation) der UN-BRK müssen wir in Österreich endlich wirklich im Sinne der UN-BRK zu handeln beginnen.

Es reicht nicht, dass einige Menschen sagen: Es muss sich etwas ändern!

Wichtig ist, dass sich etwas ändert.

Und es muss sich viel ändern:

De-Institutionalisierung beginnt in den Köpfen. Viele Leute denken: Menschen mit Behinderungen sind besser in einem Heim aufgehoben. Dort hilft man ihnen. Aber die UN-BRK sagt: Raus aus den Heimen! Es geht um Selbstbestimmung. Menschen mit Behinderungen müssen überall dabei sein und mitmachen können. Das wird aber nur klappen, wenn es Unterstützung gibt. Diese notwendige Unterstützung (Persönliche Assistenz) steht in der UN-BRK.

De-Institutionalisierung bedeutet Nachdenken. Wir alle müssen nachdenken: Wie können Menschen mit Behinderungen gut unterstützt werden, damit sie nicht mehr in Heimen/Einrichtungen leben müssen? Welche Unterstützungsleistungen, welche Maßnahmen muss es geben? Das muss alles gut überlegt werden. Und dann muss danach gehandelt werden.

De-Institutionalisierung bedeutet auch, dass Menschen mit Behinderungen selbst gefragt werden sollen, was für sie wichtig ist, um ein Selbstbestimmtes Leben leben zu können. In der UN-BRK ist ein Ziel die Partizipation (also die Teilhabe, das Mitmachen in der Gesellschaft) bei Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen – in der Politik und im Leben allgemein.

Unser ANED-Bericht zu Selbstbestimmtem Leben und De-Institutionalisierung zeigt eines sehr deutlich:

Wir sind in Österreich noch weit weg davon, was die UN-BRK von uns als Gesellschaft fordert und was in Artikel (Punkt) 1 der UN-BRK steht: Dort steht, dass es unser Ziel als Gesellschaft sein muss „… den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten …“.

Es ist noch ein weiter Weg zu diesem Ziel: Menschen mit Behinderungen müssen eine Wahlmöglichkeit haben, also selbstbestimmt entscheiden können, wo sie mit wem leben wollen.

Heime und Einrichtungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass wir die UN-BRK zwar rechtlich gültig gemacht haben, aber dass wir sie nicht wirklich umsetzen wollen. Und das ist schlecht. Weil es vielen Menschen unmöglich macht, dass sie wie alle anderen an der Gesellschaft teilhaben können.

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2 Kommentare

  • In oesterreich ist es seit der machtuebernahme des Bundesstudienabbbrechers auf laengere Zeit vorbei mit selbstbestimmt leben. Auch ein behinderter kannn seinen Job aus konjunkturellen Gründen verlieren. Er wird länger als ein Jahr brauchen um einen neuen zu finden. Die Abschaffung der notstandshilfe ist für behinderte existenzvernichtend. Über persönliche Freiheit Assistenz wird schon lange nicht mehr geredet.dasxketztecdsscichnzundiesrm Thema hörte war“ wir finanzieren sicher kein bespassungsprogramm für behinderte“ vom salzburgervsozisllandesrat.