„Der Tod ist eine ernste Sache“ (Loriot)

Am 3. März 2015 lud der Vorsitz der Parlamentarischen Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" unter dem Motto "Bericht und Empfehlungen" zu einer Pressekonferenz ein.

Pressekonferenz Enquete-Kommission Würde am Ende des Leben
BIZEPS

Über sechs Monate hat die Enquete-Kommission an den existentiellen Themen „Sterben“ und „Tod“ gearbeitet, mehr oder weniger kontrovers diskutiert, über 100 externe Experten und Expertinnen haben an den öffentlichen Sitzungen teilgenommen.

Die am 3. März 2015 präsentierte der Vorsitz der Parlamentarischen Enquete-Kommission (Mag. Gertrude Aubauer von der ÖVP, Dr. Johannes Jarolim von der SPÖ und Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein von der FPÖ) 51 Empfehlungen sind einerseits begrüßenswert und andererseits dennoch zu ungenau, zu kurzsichtig und werden dem ernsten Thema mit all seinen Aspekten nicht wirklich gerecht.

„51 Empfehlungen“ unter der Lupe

Das achtseitige A4 Dokument besteht zwar aus 51. Punkten, von 51 Empfehlungen zu sprechen, ist jedoch nicht angebracht. Handelt es sich doch gerade am Anfang um reine Informationen bzw. Kurzberichte. Dieses Dokument wurde als Allparteienkonsens „als Erfolg, auf den wir stolz sein können“ (Dr. Jarolim) präsentiert. „Es ist ein wichtiger Tag“ waren die einleitenden Worte der Vorsitzenden Mag. Aubauer.

Die Kernthemen lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen:

  1. Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung im Rahmen eines entsprechenden Stufenplans („je 18 Mio. in den Jahren 2016 und 2017 zusätzlich zum Status Quo“). Für die Umsetzung sind Instrumente eines „Hospiz- und Palliativforums“ sowie eines „österreichweiten, unabhängigen Hospiz- und Palliativkoordinators“ notwendig. Über den Fortschritt der Umsetzung soll einmal jährlich im Nationalrat berichtet bzw. anschließend eine Debatte im Plenum abgehalten werden.
  2. Verankerung von „Palliativ Care“ in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten, Pflegepersonal, aber auch entsprechende Fortbildungen für ehrenamtliche Hospizmitarbeitern, psychosoziale Berufe u.dgl.
  3. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht: „Vereinfachungs- und Attraktivierungsmaßnahmen „. Vereinfachung bei der Verlängerung. Texte und Formulare sollen anwendungsorientiert gestaltet sein. Vorschläge zur finanziellen Entlastung.
  4. Versorgung zu Hause: vereinfachte Zusammenarbeit zwischen Patient, Hausarzt, Angehörigen, Krankenhaus sowie Hospiz- und Palliativdiensten. Abbau von bürokratischen Hürden.

Was ist mit „aktiver Sterbehilfe“,“ assistiertem Suizid“ oder dem „Verfassungsverbot“?

Da es sich um Konsens-Empfehlungen handelt, wurden die von den politischen Parteien kontrovers gesehenen Themen in diesem Dokument bewusst vermieden und lediglich mit dem Begriff „Meinungsspektrum“ zusammengefasst. Doch auch davor, in der sechsmonatigen Arbeit der Enquete-Kommission wurden – zumindest in den öffentlichen Sitzungen – die wirklich heißen Eisen nicht diskutiert.

Zwar gab es in Impulsreferaten der Experten und in den Wortmeldungen der Abgeordneten kurze Meinungsäußerungen z.B. zu einem Verbot der Sterbehilfe in der Verfassung oder zu einer Entkriminalisierung der Suizidbeihilfe. Eine breite Diskussion und tiefere Auseinandersetzung entwickelte sich daraus aber nicht.

Vielmehr wird an die „Empfehlung der parlamentarischen Versammlung des Europarats Nr. 1418/99“ erinnert und vorgeschlagen, auf dieser Basis auch weiterhin aufzubauen.

Ob der „Respekt vor der Sichtweise des Anderen“ (Dr. Jarolim) in den nächsten Wochen und Monaten im politischen und medialen Alltag auch noch gewahrt wird, wird sich zeigen. Mit dem vorliegenden Konsens „treffen wir wirklich viele Österreicher“, so Dr. Belakowitsch-Jenewein.

„Der Teufel steckt im Detail“ – die Definition von Hospiz- und Palliativversorgung

Im präsentierten Dokument findet sich prominent an erster Stelle die, besser gesagt, eine Definition von „Hospiz- und Palliativversorgung“:

„Hospiz- und Palliativversorgung ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen und ihrer Familien, welche sich im Erleben und der Auseinandersetzung einer unheilbaren, fortschreitenden Krankheit befinden. Dies soll erfolgen durch Prävention und Linderung von Leiden, durch eine frühzeitige Identifikation, tadellose Einschätzung und Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Ereignisse physischer, psychischer, sozialer, kultureller und spiritueller Aspekte.“ Als Quelle wird angegeben: World Health Organisation 2002.

Bei dieser deutschen Übersetzung fehlt jedoch ein entscheidendes Wort, das jedoch einen gewaltigen Unterschied im Verständnis macht: „… facing the problem associated with life-threatening illness …

Bei der englischen Originaldefinition wird von einer „lebensbedrohliche Erkrankung“ gesprochen. Bei der deutschen Übersetzung, besser gesagt freien Interpretation, wird der Kreis der Personen, die palliativ versorgt werden sollen, um ein vielfaches größer. So gibt es eine Reihe von unheilbaren, fortschreitenden Erkrankungen (zum Beispiel Multiple Sklerose). Viele „Behinderungen“ sind nicht „heilbar“ und es können sich im Laufe von Jahren und Jahrzehnten fortschreitende gesundheitliche Beeinträchtigungen entwickeln.

Erste Kritikpunkte aus behindertenpolitischer Sicht

Der Umstand, dass sich vor allem die Vorsitzende Mag. Aubauer in der Pressekonferenz immer wieder auf die 100 Experten berufen hat, stößt mir zumindest sauer auf. Denn gerade behindertenrelevante Aspekte wurden im vorliegenden Dokument viel zu wenig berücksichtigt. Und die Mehrheit der Experten und Expertinnen kamen aus dem Hospiz- und Palliativbereich.

  • Punkt 18: „kommunikative Kompetenz zu Themen am Lebensende essentiell für die (künftige) Arbeit mit Patienten/innen, Bewohner/innen, Klienten/innen“ sowie
    Punkt 23: „… frühzeitige Einbeziehung von Palliativ Care in Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen hat einen hohen Wirkungsgrad auf das Wohlbefinden der Patienten …“ Sollen jetzt all diese Personengruppen mit diesem Thema zwangsbeglückt werden? Für das Sterben gibt es dann plötzlich zusätzliche Ressourcen, für Maßnahmen, die dem Leben dienen, jedoch wieder nicht?
  • Punkt 19: „Palliative Sorgekultur“: „Sorge“, „Fürsorge“ und „Umsorgen“ – sollte der Mensch nicht vielmehr dazu befähigt werden, bereits im Laufe seines Lebens mit existentiellen Themen selbstbewusst umgehen zu lernen?
  • Punkt 27: „die bereits erfolgreich begonnene Etablierung der Hospiz- und Palliativkultur in dzt. rund 100 von 800 Alten- und Pflegeheimen von herausragender Bedeutung.“ Dies soll „zügig und konsequent fortgeführt werden“. Wird dabei darauf geachtet, dass es nicht zu Interessenskonflikten kommt? Alten- und Pflegeheime haben wirtschaftlich und finanziell gesehen andere Interessen. Wie will verhindert werden, dass Druck von oben über das Personal auf die Bewohner ausgeübt wird? Wird jetzt das Erstellen einer Patientenverfügung zur Voraussetzung für die Aufnahme in so einer Institution?
  • Punkt 43: „Gerade die Würde der verletzlichsten Mitglieder einer Gesellschaft wie Todkranken, Sterbenden, Menschen mit Behinderung, muss durch ein geeignetes Umfeld sichergestellt sein, nicht zuletzt durch die Erfahrungen von Leiden in Vergangenheit und Gegenwart.“ Was muss man sich unter „einem geeignetem Umfeld“ vorstellen? Menschen mit Behinderungen sind keine Schützlinge, die versorgt und untergebracht werden müssen. Menschen mit Behinderung haben wie alle anderen auch Rechte (Menschenrechte!)

Zentrale Forderungen aus behindertenpolitischer Sicht

Die Grundsätze von Hospiz- und Palliativversorgung bei sterbenskranken (!) Menschen sind grundsätzlich begrüßenswert. Eine Verquickung mit Institutionen (Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen) jedoch nicht. Sterbenskranke behinderte Menschen müssen genauso wie solche ohne Behinderung eine Wahlfreiheit haben (mobile Hospizversorgung zu Hause, Spezialpalliativstation im Krankenhaus z.B. bei bestimmten Krebsformen). Die UN-Behindertenrechtskonvention und Inklusion haben ihren Platz auch in der letzten Phase des Lebens.

Die empfohlenen Verbesserungen im Bereich der Ausbildung von Gesundheitsberufen sind äußerst begrüßenswert. Eine direkte Miteinbeziehung von behinderten und chronisch kranken Menschen in diesen Bildungsmaßnahmen ist jedoch unabdingbar. Ihre Perspektive kann nicht aus Büchern oder über Dritte als Wissen „gelernt“, sondern nur direkt erfahren werden. Behinderte Menschen sollen nicht vorgeführt werden. Vielmehr sollen angehende Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonal auch die Sichtweise von behinderten Menschen aus der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung kennenlernen.

Der Bereich „Patientenverfügung & Co“ ist zum Beispiel gerade bei Menschen mit Lernschwierigkeiten äußerst heikel. Es darf keinesfalls ein Druck auf den Betroffenen ausgeübt werden. Er muss das Recht haben, sich damit auch nicht auseinandersetzen zu müssen.

Wie wird es weitergehen?

Es soll „demnächst“ einen Bericht der Enquete-Kommission inklusive der vorgestellten Empfehlungen sowie weitergehenden Informationen – auch online abrufbar – geben. Dieser wird dann auch dem Nationalrat zur weiteren Verwendung vorgelegt werden.

Und abschließend eine Bitte an die Enquete-Kommission, Abgeordneten und sog. Professionisten: sehr viele Menschen mit Behinderung und/oder chronischen (schweren) Erkrankungen „leiden“ nicht. Sie haben gelernt, mit dieser Herausforderung zu LEBEN.

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