Das Sozialministerium schickte einen Entwurf für ein Behindertengleichstellungs- und ein Schlichtungsstellengesetz sowie den Novellenentwurf zum Behinderteneinstellungsgesetz im Jänner in Vorbegutachtung; die Stellungnahmefrist lief am 19.3.2004 ab.
Das Forum Gleichstellung hat zu diesem Gesetzesvorschlag des Sozialministeriums eine umfassende Stellungnahme abgegeben, der sich 21 Interessensvertretungen der Menschen mit Behinderungen, darunter auch die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Integration:Österreich, der Österreichische Gehörlosenbund, BIZEPS, Blickkontakt, Ninlil, Uniability, die Wiener Assistenzgenossenschaft und verschiedene Selbstbestimmt-Leben-Initiativen, vollinhaltlich angeschlossen haben.
Einleitend hielt das Forum Gleichstellung fest, dass der Gesetzesvorschlag als erster ministerieller Gesetzesentwurf besonders wichtig sei und als Einbringung wesentlicher Teile eines Behindertengleichstellungsgesetzes gewertet werde.
Die wichtigsten Inhalte des Gesetzesvorschlages des Sozialministeriums und die in der Stellungnahme des Forum Gleichstellung dazu gemachten Anmerkungen lassen sich in Kürze so zusammenfassen:
- Der Behindertengleichstellungsgesetzentwurf enthält eine Verfassungsbestimmung, durch die eine Bundeskompetenz zur Regelung eben dieses Behindertengleichstellungsgesetzes und zu dessen Vollziehung durch Bundesbehörden geschaffen wird; eine eben solche Bundeskompetenz zur Regelung und Vollziehung des Diskriminierungsschutzes soll durch eine gleichartige Verfassungsbestimmung im Behinderteneinstellungsgesetz geschaffen werden.
Das Forum Gleichstellung verwies in diesem Zusammenhang auf seine beim Parlamentshearing im Verfassungskonvent am 15. Dezember 2003 präsentierte Forderung, dass generell „Behindertengleichstellung“ zur Bundeskompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung erklärt werden sollte, um einen österreichweit einheitlich hohen Standard der Behindertengleichstellung in allen Lebensbereichen zu erzielen. Eine solche Verfassungsbestimmung böte auch die Möglichkeit, bislang sehr uneinheitlich geregelte Bereiche wie barrierefreies Bauen oder barrierefreier öffentlicher Verkehr österreichweit einheitlich zu normieren.
- Definition des Begriffs Behinderung: Der Gesetzesentwurf enthält eine Definition des Begriffs „Behinderung“, die sich an medizinischen Kriterien – Funktionsabweichung/Defizite – orientiert, wie man sie auch in diversen Sozialgesetzen finden kann und die im wesentlichen nur den unmittelbar behinderten Menschen darunter versteht; daneben werden auch Familienangehörige von Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung wegen dieser Behinderung geschützt.
Das Forum Gleichstellung regt dazu noch an, auch Menschen, die ehemals behindert waren, künftig mit Wahrscheinlichkeit behindert sein werden und denen eine Behinderung wahrheitswidrig zugeschrieben oder unterstellt wird, ebenfalls als Menschen mit Behinderung in den Geltungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes einzubeziehen und vor Diskriminierung zu schützen.
- Definition des Begriffs „Barrierefreiheit“: Der Begriff „Barrierefreiheit“ wird im Gesetzesentwurf sehr umfassend und allgemein definiert; der Begriff wird jedoch nicht durch klare Standards der Barrierefreiheit, z. B. genau normierte Rampen, Türbreiten, tastbare Bodenleitsysteme, WC- und Aufzugsgestaltungen …, präzisiert.
Das Forum Gleichstellung fordert in seiner Stellungnahme eine Präzisierung des Begriffes durch inhaltlich bestimmte Regelungen, wobei die Verbindlicherklärung von einschlägigen ÖNORMEN sinnvoll und zweckmäßig erschiene.
- Anerkennung der Gebärdensprache: Die Gebärdensprache soll nach dem Entwurf mit einer Verfassungsbestimmung anerkannt werden.
Das Forum Gleichstellung tritt darüber hinaus für die rechtliche Verankerung eines einklagbaren Rechtes auf Kommunikation in österr. Gebärdensprache und die Zurverfügungstellung von GebärdensprachdolmetscherInnen in allen Lebensbereichen ein.
- Verboten sind unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen sowie die Belästigung – Kränkung, Herabwürdigung – aufgrund einer Behinderung.
Das Forum Gleichstellung erachtet den Schutz vor Diskriminierung als einen wichtigen ersten Teil der Behindertengleichstellung, wobei dazu noch inhaltlich bestimmte und einklagbare Gleichstellungsrechte, wie z. B. ein Recht auf inklusive Bildung, auf barrierefreien Zugang zu Informationen, auf persönliche Assistenz, auf barrierefrei benützbare Gebäude, Verkehrsmittel und Freiräume etc., kommen müssen.
- Als Sanktion für Verstöße gegen die Diskriminierungsverbote sieht der Gesetzesvorschlag materiellen und immateriellen Schadenersatz vor.
Das Forum Gleichstellung fordert für eine effektive Behindertengleichstellung auch einen Anspruch auf Unterlassung, die Erteilung bestimmter Aufträge und von einstweiligen Verfügungen bei Gefahr im Verzug als Sanktionen, die die Behörden verhängen können.
- Zur Durchsetzung dieses Diskriminierungsschutzes sind eine noch einzurichtende Schlichtungsstelle beim Sozialministerium und die ordentlichen Gerichte zuständig sowie als Beschwerdeanlaufstelle eine sogenannte Behindertenanwaltschaft.
Das Forum Gleichstellung hat dazu festgehalten, dass bei der Besetzung der Senate der Schlichtungsstelle und der Behindertenanwaltschaft BewerberInnen mit Behinderungen besonders berücksichtigt werden sollten.
- Der Gesetzesentwurf sieht für das Verfahren auch eine Beweismaßerleichterung und ein Verbandsklagerecht für konkrete Einzelfälle vor.
Das Forum Gleichstellung fordert hier in Übereinstimmung mit den Standards der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien eine wirkliche Beweislastumkehr, bei der der behinderte Mensch die Diskriminierung nur glaubhaft zu machen hätte und der vermeintliche Diskriminierer zu beweisen hätte, dass er/sie nicht wegen der Behinderung diskriminiert hat. Außerdem tritt das Forum Gleichstellung für ein erweitertes Verbandsklagerecht auch bei abstrakter Diskriminierung ein – z. B. drei Stufen im Eingangsbereich eines Hotels diskriminieren auch unabhängig vom konkreten Einzelfall.
- Darüber hinaus regt das Forum Gleichstellung an, geeignete Informationsinstrumente zum Thema Behindertengleichstellung in ein Behindertengleichstellungsgesetz aufzunehmen und Menschen mit Behinderungen in die Aktionen zur Behindertengleichstellung voll einzubeziehen.
- Dem Vorbegutachtungsentwurf des Sozialministeriums war auch der Bericht des Bundeskanzleramtes über die Durchforstung des Bundesrechts nach behindertendiskriminierenden Bestimmungen vom März 1999 beigefügt, der auf über 120 Seiten eine Vielzahl von Behindertendiskriminierungen im österreichischen Recht dokumentiert, die zum überwiegenden Teil noch immer existieren; deshalb fordert das Forum Gleichstellung in seiner Stellungnahme auch die Beseitigung solcher gesetzlicher Diskriminierungen mittels einer sogenannten Sammelnovelle.
Nun ist das Vorbegutachtungsverfahren abgeschlossen und es geht in die Phase der Überarbeitung des vorliegenden Gesetzesvorschlages. Dazu werden wohl intensive Diskussionen zu den eingelangten Stellungnahmen in der Arbeitsgruppe der Bundesregierung zur Schaffung eines Behindertengleichstellungsgesetzes unabdingbar sein, auf die bereits mit Spannung gewartet wird.
Alle Infos und Dokumente zur Arbeitsgruppe der Bundesregierung für ein Behindertengleichstellungsgesetz finden Sie auf der Website des Forum Gleichstellung. Auf dieser Website werden Sie laufend über den aktuellen Stand der Arbeiten für ein österreichisches Behindertengleichstellungsgesetz informiert.