Höchstgericht beendet endlich den Vermögenszugriff in Salzburgs Behinderteneinrichtungen!

Der hartnäckigen Weigerung der Salzburger Politik, den Pflegeregress für Menschen in stationären Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe zu beenden, erteilte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) nun eine Absage.

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Für Menschen, die in Senioreneinrichtungen leben und gepflegt werden, gehört der Vermögenseinsatz seit Jahresbeginn 2018 der Vergangenheit an.

Parlament beendet „Pflegeregress“

Vor der letzten Nationalratswahl hat das Parlament per Verfassungsbestimmung im ASVG den Ländern ab 2018 untersagt, im Rahmen der Sozialhilfe das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen zur Abdeckung der Pflegekosten heranzuziehen. Die darauf folgende öffentliche Diskussion über die Abschaffung des sogenannten „Pflegeregresses“ war heftig.

Denn die Länder befürchteten wesentliche Mehrbelastungen, die der Bund – aus ihrer Sicht – nur ungenügend abdeckte. Der Bundesgesetzgeber legte jedoch deutlich fest, dass landesgesetzliche Regelungen, die dem Ziel der Abschaffung des Vermögenseinsatzes entgegenstehen, außer Kraft treten.

Damit war die rechtliche Umsetzung für Senioreneinrichtungen auf Schiene. Ergänzend präzisierten Entscheidungen des VfGH den Geltungsbereich dieser neuen Regelung auch für alle laufenden Verfahren, inklusive der zu löschenden Sicherstellungen im Grundbuch.

Unklarheit bei Einrichtungen der Behindertenhilfe

Findige Sozialverwaltungen und Politiker*innen, die unter dem Vorwand einer angeblich unklaren Rechtslage zu Lasten von Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe sparen wollten, scheuten vor klaren Regelungen im Bereich der Behindertengesetze zurück. Während die meisten Bundesländer bereits seit Jahren auf den Einsatz des Vermögens verzichteten, oder so wie Oberösterreich nun nachzogen, veränderten Kärnten und Vorarlberg den landesgesetzlichen Rahmen nicht.

Salzburg kassierte unvermindert weiter Vermögenswerte oder verweigerte Kostentragung der Betreuung bis zum Zeitpunkt der Vermögenslosigkeit.

Die völlige Ungleichbehandlung zwischen der gleichen Personengruppe, die in einer Senioreneinrichtung lebt und jener, die in einer aus Mitteln des Behindertengesetzes geförderten Einrichtung gepflegt wird, wurde achselzuckend übergangen. Nur noch ungläubiges Kopfschütteln löst der Vermögenseinsatz von Senior*innen in Senioreneinrichtungen der Behindertenhilfe aus.

Politischen Zusagen mit Rechtsmitteln Nachdruck verleihen

Eigentlich war es auch in Salzburg spätestens im Frühjahr 2018 klar, dass der Vermögenseinsatz für Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe beendet wird. Es gab entsprechende Absichtserklärungen von Landeshauptmann und Soziallandesrat. Doch die Landtagswahlen, neu entdeckte Rechtsunsicherheiten, administrative Engpässe und fehlende Priorisierung verhinderten bis zum heutigen Tag die landesgesetzliche Klärung.

Daher waren die Dutzenden eingebrachten Rechtsmittel sehr wichtig, um endlich eine Anpassung des Vollzugs zu erreichen und die Ungleichbehandlung zu beenden.

Nachhilfe durch den Verfassungsgerichtshof

Der VfGH hat, nachdem bereits einige Beschwerden eingebracht worden waren, einen der Anträge des Landesverwaltungsgerichts (LVwG) Salzburg aufgegriffen. Der LVwG beantragte die Aufhebung eines Satzes in § 17 des Salzburger Behindertengesetzes, mit dem die hier definierten Kostenbeiträge aus dem Vermögen bestimmt wurden. Ein klares und mutiges Statement der Rechtsmittelinstanz.

Der VfGH prüfte genau und kam zum Ergebnis, dass diese Bestimmung gar nicht aufgehoben werden kann, da die angefochtene Wortfolge bereits mit 1. Jänner 2018 –  durch die ASVG-Bestimmung – außer Kraft getreten ist. Somit darf die Kostenbeitragsbestimmung nicht mehr vollzogen werden und kann daher nicht in Hinblick auf die Verfassungskonformität geprüft werden.

Wie kam der VfGH zu dieser Ansicht? Das Höchstgericht interpretiert die Bestimmung über die Aufhebung des Pflegeregresses weit und erläutert, dass „diese Regelungen alle Pflegeleistungen, unabhängig davon, ob sie für altersbedingt oder für auf Grund einer Behinderung pflegebedürftige Personen erbracht werden“, umfasst.

Mit dem Ergebnis des VfGH-Beschlusses erfolgt auch eine Gleichbehandlung von Menschen in Pflegeeinrichtungen und in Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Der vom LVwG im Antrag aufgezeigte Weg der Prüfung einer Verfassungswidrigkeit als Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Artikel 7 des Bundesverfassungsgesetzes wurde vom Höchstgericht nicht aufgegriffen und damit leider nicht das Diskriminierungsverbot als Maßstab herangezogen. Eine höchstgerichtliche Entscheidung über eine Diskriminierung, die bei gleichen Sachverhalten – hier Pflege und Kostenersatz – vom Landesgesetzgeber ungleich und damit verfassungswidrig behandelt werden, hätte wegweisend sein können.

Pflegeregress rückwirkend beendet

Der höchstgerichtlichen Entscheidung folgend, sind nicht nur alle offenen Verfahren und Entscheidungen entsprechend zu bearbeiten und auf einen Vermögenseinsatz zu verzichten. VertretungsNetz allein vertritt rund ein Dutzend Personen als gerichtliche Erwachsenvertreter*innen bei Rechtsmitteln und offenen Anträgen auf Gewährung von Leistungen. Durch den VfGH-Erfolg können nun lang zurückgestellten Vorhaben und Pläne – von der Anschaffung von kleinen Ergänzungen der Wohneinrichtung bis hin zur Vorbereitung der geplanten Übersiedlung in eine eigene Wohnung – endlich umgesetzt werden.

Nunmehr ist geklärt, dass der Pflegeregress ab 1. Jänner 2018 auch in der Behindertenhilfe völlig beseitigt ist und somit auch für alle Verfahren ab diesem Zeitpunkt, inklusive der Zugriffe auf Liegenschaftsvermögen, gilt. Laut Pressebericht rechnet das Land mit rund 100 betroffenen Menschen. (SN 27. März 2019)

Eine umfassende Aufarbeitung aller möglichen Benachteiligungen ab Jahresbeginn 2018 ist daher unbedingt erforderlich. Soziallandesrat Heinrich Schellhorn hat angekündigt, dass eine Überprüfung umgehend erfolgen wird. Ergänzend verspricht Schellhorn neuerlich, dass mit dem schon sehr lange geplanten Landesgesetz nicht nur der Vorgabe des VfGH entsprochen wird, sondern sogar erweiterte Befreiungen erfolgen werden.

Das Schlamassel in Salzburg muss die Sozialverwaltung möglichst zügig in Ordnung bringen. Die Sozialpolitik ist aufgerufen, hier entsprechende Aufträge zu erteilen und die angekündigten Maßnahmen endlich umzusetzen.

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4 Kommentare

  • Für unsere Mutter wurde von einem Seniorenheim in der Stadt Salzburg im Jänner 2019 Sozialhilfe für die Abdeckung der Kosten beantragt. Sie verstarb im März 2020 und nun fordert der Magistrat der Stadt Salzburg die geleistete Sozialhilfe aus dem Nachlass zurück. Existiert in Salzburg trotz einer Bundesregelung nun doch ein Pflegeregress?

    • Ich verstehe ihre Skepsis, aber Sozialhilfe wird normalerweise nur gewährt, wenn kein Vermögen (über einer gewissen Grenze) existiert und kein ausreichendes Einkommen gewährleistet ist.

      Hierbei handelt es sich wahrscheinlich nicht um einen Regress auf Familienangehörige (Pflegeregress) sondern um Regress auf bereits vorher bestandenes Vermögen/Eigentum der sozialhilfebeziehenden Person (ihre Mutter).

      Um den Fall genauer zu besprechen wenden sie sich am Besten an: https://www.salzburg.gv.at/soziales_/Seiten/pflege_heim_sozialhilfe.aspx

  • Das heißt diese Regelung gilt jetzt auch automatisch für Kärnten und Vorarlberg, die bisher von der Abschaffung des Pflegeregresses im Behindertenbereich nichts wissen wollten?
    Vielleicht kann mich dazu noch jemand aufklären. Danke!

    • Liebe Klaudia,
      ja, der „Pflegeregress“ darf ab 1.1.2018 in keinem Bundesland umgesetzt werden. Für die Rechtssicherheit wäre es aber wünschenswert, wenn die Bundesländer die Landesgesetze entsprechend ändern würden. Die Verwaltung darf den Einsatz des Vermögens jedenfalls bei Pflege und Betreuung nicht mehr anwenden. In Salzburg ist gerade eine Novelle in Begutachtung, die auch diesen Bereich regeln wird.