Impulsreferat anlässlich der Enquete „Würde am Ende des Lebens“ im Parlament am 25. November 2014

Sehr geehrtes Hohes Haus, sehr geehrte Damen und Herren!

Rede von Marianne Karner im Parlament am 25. November 2014
BIZEPS

Mein Name ist Mag.a Marianne Karner. Ich spreche für BIZEPS ein Behindertenberatungszentrum, das nach Grundsätzen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung arbeitet. BIZEPS ist unabhängig von politischen Parteien, von Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Zuerst etwas Persönliches:

  • Ich habe eine schwere, chronische Erkrankung.
  • Ich bin „rollstuhlpflichtig“.
  • Ich habe Schmerzen.
  • Ich leide.

Aber was heißt das?

Ich habe eine schwere, chronische Krankheit, die man in meinem Fall wohl nicht heilen wird können. Aber: Ich lebe trotzdem gerne.

Ich brauche zur Fortbewegung einen Rollstuhl. Und: Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich war, als ich endlich meinen Rollstuhl bekommen habe. Endlich konnte ich mich wieder außer Haus bewegen, gewann immer mehr an Mobilität zurück, konnte am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und meine Lebensqualität verbesserte sich gewaltig.

Ich habe starke chronische Schmerzen, aber dank entsprechender Medikamente kann ich diese meistens aushalten.

Ich leide nicht an meiner Erkrankung, sondern ich leide an der Ablehnung und Diskriminierung durch die scheinbar Gesunden. Ich will kein Mitleid, keine falschen Zuschreibungen von außen, und erst recht keine vorzeitige billige Fahrkarte ins Jenseits, ich will ganz einfach leben.

So wie mir, geht es auch sehr vielen anderen behinderten, kranken Menschen.

Die Positionen von BIZEPS kurz und bündig:

  • Gegen aktive Sterbehilfe und gegen assistierte Selbsttötung.
  • Gegen ein Verfassungsverbot. Denn die derzeitige Gesetzeslage reicht aus.
  • Für den inklusiven Ausbau im Palliativ- und Hospizwesen.

Viele Detailfragen müssen noch ausführlicher diskutiert werden.

  • Beispiel: die Errichtung von Patientenverfügungen in Hinblick auf behinderte Menschen bzw. Menschen mit Lernschwierigkeiten. Es braucht hier nicht nur sehr viel Zeit- und finanzielle Ressourcen. Es müssen auch ganz grundsätzlich Überlegungen angestellt werden: Wer führt mit wem Gespräche und mit welchem Beratungs- und Interessenshintergrund? Wie können behinderte Menschen vorurteilsfrei beraten und unterstützt werden? Welche Rollen spielen Angehörige und SachwalterInnen? Besteht hier nicht die Gefahr, dass diese Menschen noch mehr zum Objekt statt zum selbstbestimmten Subjekt gemacht werden?
  • Ein weiteres Beispiel: Was heißt Hospizbetreuung und Palliativ-Care für Menschen, die im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention in Großeinrichtungen leben müssen? Was ist mit der Befürchtung, dass in der ganzen Euphorie rund um die Möglichkeiten der Palliativmedizin vorschnell dem „Sterben zu lassen“ statt „Leben ermöglichen bis zuletzt“ Vorrang gegeben wird? Gerade behinderten bzw. schwer chronisch kranken Menschen wird vorschnell der Stempel „unheilbar“, „austherapiert“ oder „terminal“ aufgedrückt. Zugespitzt gesagt: Pflegeheime und Großeinrichtungen dürfen keinesfalls zu „Sterbehäusern“ umfunktioniert werden.
  • Und: Begriffe wie „Leichte Sprache“, „Inklusion“ und „Barrierefreiheit“ müssen auch ins Bewusstsein von Hospizbetreuerinnen und Palliativmedizinern gelangen. Bereits in den entsprechenden Ausbildungscurricula und im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen muss darauf eingegangen werden. Es muss zumindest eine verpflichtende Lehrveranstaltung von selbst behinderten und/oder chronisch kranken Menschen geleitet werden. Behinderten Menschen kann man nicht im Lehrbuch sondern nur im direkten Kontakt begegnen. Es ist unabdingbar, dass Auszubildende ihre Perspektive kennenlernen.

Wir möchten Ihnen heute vor allem folgende Botschaften mitgeben:

  1. Wir sehen Behinderungen grundsätzlich als Vielfalt und Bereicherung für uns und andere. An einer Krankheit und Behinderung muss man nicht unbedingt leiden, man kann mit ihr leben. Im Falle von Schmerzen ist eine entsprechende Therapie zu ermöglichen. Am Ende des Lebens soll allen Menschen genügend Unterstützungsangebot zur Verfügung stehen.
  2. Jeder Mensch ist gleich viel wert und hat gleich viel Würde. Egal, ob behindert oder nicht behindert, egal, ob krank oder gesund. Egal, ob jung oder alt. Das steht auch in der Präambel der UN-Behindertenrechtskonvention. „In Anerkennung der Würde und des Wertes, die allen Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft innewohnen.“
  3. Das gesellschaftliche Klima gegenüber Bürgern und Bürgerinnen, die willkürlich gesetzten Normen und Kriterien wie „schön“, „leistungsfähig“, „erfolgreich“ nicht entsprechen, wandelt sich und kippt immer mehr. Das zeigt vor allem ein Blick nach Belgien und in die Niederlande. Oder ein Blick nach Deutschland. Aktive Sterbehilfe und Selbsttötung werden fälschlicher Weise mit Selbstbestimmung und frei verantwortlicher Entscheidung gleichgesetzt. Das ist ein großer Irrtum. Das zeigt zum Beispiel die historische Aufarbeitung der Jahrzehntelangen Entwicklung der Sterbehilfe in den Niederlanden.
  4. Nichts über uns ohne uns. Dieses Motto der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung ist auch hier von großer Bedeutung: Behinderte Menschen müssen bei der Thematik „Würde am Ende des Lebens“ auf Augenhöhe und viel stärker mit einbezogen werden. Behinderte und schwer kranke Menschen haben oftmals Erfahrungen in Grenzsituationen gemacht. Nichtbehinderte und nichtkranke Menschen können davon lernen. Und: In den ganzen Diskussionen rund um das Lebensende ist ein Innehalten und die mahnende Erinnerung an das dunkelste Kapitel in der Geschichte Österreichs immer wieder angebracht.
  5. Die richtige Reihenfolge: Selbstbestimmt Leben hat Vorrang. Das bedeutet: die vollständige und rasche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Noch immer leiden wir unter alltäglicher Diskriminierung und noch immer gibt es eklatante Menschenrechtsverletzungen. Diese betreffen auch Umstände am Ende des Lebens. Behinderung und Krankheit wird es in der Menschheitsgeschichte immer geben. Aber: Barrieren können abgebaut werden, Ängste und Vorurteile sind therapier- und heilbar!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Menschliches Leben ist immer würdig.

Es gibt nur unwürdige Umstände.

Und diese können wir,

diese können Sie, werte Abgeordnete,

ÄNDERN und VERBESSERN.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Video der Rede

Fotos von der Enquete

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