Simone Leuenberger: Mit der Inklusions-Initiative wollen wir in der Schweiz wieder Schub geben

In einem aufschlussreichen BIZEPS-Interview erläutert Simone Leuenberger, warum es höchste Zeit ist, in der Schweiz eine Welle der Veränderung in Sachen Inklusion anzustoßen.

Inklusions-Initiative Simone Leuenberger
Dirk Meissel

Als engagierte Behindertenrechtlerin, Politikerin und Vereinsgründerin bringt Simone Leuenberger ihre vielfältigen Erfahrungen ein, um Licht auf die drängenden Probleme und die dringende Notwendigkeit einer Inklusions-Initiative zu werfen.

Gestartet im Jahr 2023, zielt diese Volksinitiative in der Schweiz darauf ab, die rechtlichen und sozialen Grundlagen zu schaffen, um Menschen mit Behinderungen vollständig in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren und bestehende Barrieren abzubauen.

Das Ziel der Volksinitiative ist:

  • Der Gesetzgeber erhält den Auftrag, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen sicherzustellen.
  • Menschen mit Behinderungen erhalten Anspruch auf alle Anpassungs- und Unterstützungsmassnahmen, die für die Gleichstellung nötig und verhältnismässig sind.
BERN, April 2023; Sammelstart der Inklusions-Initiative
Jonathan Liechti

Interview mit Simone Leuenberger:

BIZEPS: Wie kam es zu der Idee?

Simone Leuenberger: Seit dem Jahr 2004 hat die Schweiz ein Behindertengleichstellungsgesetz. 2014 hat sie die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Seither ist nicht mehr viel passiert. Papier ist bekanntlich geduldig.

Der UNO-Ausschuss hat die Schweiz im März 2022 im Rahmen der ersten Staatenprüfung vernichtend kritisiert.

BIZEPS: Was läuft derzeit in der Schweiz nicht gut?

Simone Leuenberger: Nicht nur fehlt der Schweiz eine Strategie zur Umsetzung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen; sie hält auch an aussondernden Strukturen wie Sonderschulung, geschützten Werkstätten und Heimen fest.

Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen werden nach wie vor höchstens in Alibi-Gremien einbezogen, wenn es um Behinderung geht.

Mit der Volksinitiative wollen wir nun wieder einmal von der Basis her – von uns Menschen mit Behinderungen, die tagtäglich ausgeschlossen werden von der Teilhabe an der Gesellschaft – Schub geben.

Logo Inklusions Initiative
Jonathan Liechti

BIZEPS: Was soll mit dem Sammeln von Unterschriften erreicht werden? 

Simone Leuenberger: Die Inklusions-Initiative ist eine Volksinitiative. Sie fordert eine Änderung der Bundesverfassung. Kommen die 100.000 Unterschriften zusammen, kommt es zur Abstimmung. Die Stimmberechtigten der ganzen Schweiz entscheiden dann, ob die Verfassung tatsächlich wie gefordert geändert wird.

BIZEPS: Bis wann wollt ihr 100.000 Unterschriften gesammelt haben?

Simone Leuenberger: Wir haben nun noch bis im Oktober 2024 Zeit, um Unterschriften zu sammeln. Wichtig zu wissen: Nur Leute, die in der Schweiz stimmberechtigt sind, dürfen unterschreiben.

BIZEPS: Wie kann sich die Lage von Menschen mit Behinderungen dadurch verbessern?

Simone Leuenberger: Bei einem Ja zur Inklusions-Initiative muss der Verfassungsartikel umgesetzt werden. D.h. es sollten konkrete Schritte eingeleitet werden wie z.B. Gesetzesänderungen. Das ist ein langer Prozess.

Bereits die Lancierung einer Volksinitiative kann aber Signalwirkung haben. Und auch eine verlorene Volksinitiative bleibt nicht immer wirkungslos. So wurde 2003 die Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» abgelehnt. Sie war aber Anlass dafür, dass das Behindertengleichstellungsgesetz ausgearbeitet wurde.

BIZEPS: Wie kam das breite Bündnis zustande?

Simone Leuenberger: Angestoßen wurde die Volksinitiative durch „Tatkraft“. Dies ist eine junge Selbstvertretungsorganisation, die sich die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Partizipation auf die Fahne geschrieben hat.

BERN, April 2023; Sammelstart der Inklusions Initiative
Jonathan Liechti

Eine Volksinitiative zu lancieren und dann auch erfolgreich durchzubringen ist aber Knochenarbeit und braucht Partnerschaften. Solche wurden auf der einen Seite in den Behindertenorganisationen gefunden.

In der Trägerschaft sind Agile (Schweizer Dachverband der Selbsthilfe- und Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen) und Inclusion Handicap (Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz) vertreten und damit ein sehr großer Teil aller in der Schweiz tätigen Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen.

BIZEPS: Gibt es weitere Organisationen, die das Bündnis unterstützen?

Simone Leuenberger: Ja! Wichtig sind aber auch die Trägerorganisationen außerhalb der «Behinderten-Bubble». Bei der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen geht es um Menschenrechte. Menschen mit Behinderung werden in der Schweiz im Alltag diskriminiert, weswegen Amnesty International beschlossen hat, die Inklusions-Initiative zu unterstützen. 

Ein weiterer großer Booster der Inklusions-Initiative und von Anfang an mit an Bord ist die Stiftung für direkte Demokratie. Mit ihrer Online-Plattform „Wecollect“ erreicht sie viele Menschen aus der Zivilbevölkerung und fördert somit die politische Teilhabe.

BIZEPS: Wir wünschen Euch viel Erfolg mit der Inklusions-Initiative und danken für das Interview.

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