Von der Erosion der Grundrechte

Der Begriff "Erosion" beschreibt üblicherweise langsame, fortschreitende Prozesse an der Erdoberfläche, hervorgerufen durch Regen, Wind oder Eis.

SOS Menschenrechte
SOS Menschenrechte

Aber Erosion ist auch ein sehr schönes, bildhaftes Synonym für den schleichenden Abbau von abstrakten Werten wie Vertrauen, Zuversicht oder Würde: in der Momentaufnahme kaum merkbar, bei späterem Verlust umso schmerzlicher.

Ein Beispiel?

Wir sind derzeit Zeugen einer großangelegten Neudeutung unserer Grund- und Freiheitsrechte, denen wir in Verbindung mit einer gefestigten Demokratie 70 Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand zu verdanken haben. Diese Um- oder Neudeutung geschieht nicht schlagartig, das würde zu viel Ablehnung und Widerstand hervorrufen.

Sie kommt in wohl choreografierten Dosen und von unterschiedlichen Seiten. Zuerst steigt ein „Testballon“: „Die Menschenrechtskonvention muss entweder auf EU-Ebene erneuert oder durch eine ‚Österreichische Menschenrechtskonvention’ ersetzt werden“ (Kickl 2015).

Dann folgt die Provokation: „Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“ (Kickl, Jänner 2019). Darauf der kollektive Aufschrei und schließlich die „Entwarnung“: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Menschenrechte als solche in Frage gestellt“ (Kickl, zwei Tage später).

Anscheinend drehen sich alle Probleme der Republik Österreich um Asylwerber, die sich freiwillig einem Ausgehverbot unterwerfen, sich nicht „zusammenrotten“ und nicht „herumlungern“ sollen, um nicht in eine „einsame Gegend“ deportiert und als „Problembären“ abgestempelt zu werden. Der Bundeskanzler schweigt, Strache spricht von einer Hausordnung mit einer Anwesenheitspflicht „wie beim Bundesheer oder bei einem Kuraufenthalt“.

Beim Thema „Sicherheitsverwahrung“ von „gefährlichen“ Asylwerbern gehen allerdings doch die Wogen hoch. Da springt die Wirtschaftskammer bei und legt den Finger auf eine andere, durch eine „sehr extensiv“ ausgelegte Ermächtigung der Volksanwaltschaft hervorgerufene Wunde.

Schließlich geht es darum, den Prüfbereich in Alten- und Pflegeheimen zu „verschlanken“, um Heimträger nicht zu „kriminalisieren“. Dass es in Wahrheit um elementare Kontrollrechte zum Schutz der Heimbewohnerinnen und -bewohner vor „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“ geht, hätten wir jetzt beinahe vergessen.

Wer weiß, wie weit unsere Grund- und Freiheitsrechte bereits von Erosionsschäden betroffen sind, und dürfen wir unser Credo „frei und gleich an Würde und Rechten“ noch auf unseren Lippen tragen?

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Ein Kommentar

  • Vielen Dank für deinen klaren Worte, Gunther! Es ist so traurig und abscheulich, was leider nicht nur in unserem Land an Abscheulichkeiten passiert.