Selbstbestimmtes Leben auf japanische Art

Am 21. Februar 2023 bekamen wir im BIZEPS-Büro Besuch von zwei Kolleg:innen aus der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung in Japan. Unsere Gäste haben sich mit uns über verschiedene Themen ausgetauscht. Es gab viele Parallelen, aber auch einige Unterschiede.

5 Menschen in Rollstühlen vor einer Graffiti-Collage mit dem Wort BIZEPS. Von links nach rechts: Misako Yasuhara, Cornelia Scheuer, Mitsutoshi Oyabu, Magdalena Scharl und Markus Ladstätter
BIZEPS

Die Überraschung war groß, als Cornelia Scheuer, Magdalena Scharl und Markus Ladstätter von BIZEPS sich mit Misako Yasuhara aus dem Selbstbestimmt Leben Zentrum Aruru und Mitsutoshi Oyabu vom „Projekt für die künftige Freiheit und Deinstitutionalisierung von Krankenstationen für Menschen mit Muskeldystrophie“ ausgetauscht haben.

Wir haben uns sehr über den Besuch aus Japan gefreut und es war eine sehr interessante Erfahrung, bei der wir viel über die Situation im jeweils anderen Land gelernt haben.

Obwohl die Kulturen und Lebensräume sehr unterschiedlich sind, konnten einige Parallelen in den Bereichen Persönliche Assistenz, Gewalt an Menschen mit Behinderungen, Behindertenheime und Barrierefreiheit von öffentlichen Verkehrsmitteln festgestellt werden. Anders ist es jedoch im Schulsystem.

Persönliche Assistenz

Menschen mit Behinderungen in Japan bekommen zwar Persönliche Assistenz, aber sie können sich das biologische Geschlecht der Assistent:innen nicht aussuchen.

Die Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen sich die oder den Assistenten:in nicht aussuchen dürfen, gilt allgemein und trifft nicht nur in Heimen oder stationär im Krankenhaus zu. Das begünstigt sexualisierte Gewalt an Frauen mit Behinderungen, weil sich viele Frauen unwohl fühlen und sich nicht dagegen wehren können.

Die Finanzierung der Persönlichen Assistenz erfolgt direkt an Assistenzanbieter und ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich geregelt. In größeren Städten ist die Finanzierung aber eher sehr gut und ermöglicht rund um die Uhr Assistenz.

Vor allem in ländlichen Gebieten ist es schwierig, (ausreichend) Persönliche Assistenz zu bekommen, weil es schwieriger ist, Assistent:innen zu finden.

Das Thema Bildung und Schule

Seit der Einführung des Gesetzes zur Unterstützung von Menschen mit Entwicklungsverzögerungen im Jahr 2005 konzentrierten sich Inklusionsbemühungen in Japan auch auf Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten.

Seit einer Gesetzesänderung 2016 wird der Schule die Entscheidung über die Feststellung einer Entwicklungsverzögerung bzw. den schulischen Förderbedarf überlassen.

Die meisten Kinder und Jugendlichen in Japan besuchen Regelschulen. Individuelle Förderung an Regelschulen findet statt, indem Kinder, je nach Förderbedarf, einzeln oder in Kleingruppen, ein bis acht Stunden die Woche zusätzlich zum Regelunterricht begleitet und unterstützt werden.

Förderklassen haben eine einstellige Klassengröße mit eigenem Lehrplan und sind teilweise an Regelschulen angebunden, die je nach pädagogischen Möglichkeiten auch 10 – 20 Stunden gemeinsamen Unterricht mit der Regelklasse vorsehen.

Es gibt aber auch nach wie vor Sonderschulen, weil die Regelschulen ab der 10. Schulstufe fixe Quoten zur Inklusion von Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten haben. Das ist einer der Gründe, weshalb Schüler:innen mit Behinderungen zwar gesetzlich das Recht auf Inklusion haben, es aber sein kann, dass sie keinen Platz in einer Regelklasse bekommen.

Öffentlicher Verkehr

Der öffentliche Verkehr in japanischen Städten ist sehr gut barrierefrei ausgebaut. Ein wesentlicher Unterschied zu Österreich ist, dass in großen Städten oft mehrere Verkehrsunternehmen operieren, mit denen die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen einzeln zum Thema Barrierefreiheit verhandeln müssen.

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4 Kommentare

  • Sehr geehrte Damen und Herren,
    Meine Tochter ist 15 Jahre alt, sie hat 16.11p2 Mikrodeletionssyndrom ( entwicklungsverzögerung)sie geht hir in die Sonderschule in Stuttgart,aber sie möchte dringend in Japan in die Schule gehen und dort sie zu ende bringen,wie kann man in Japan sie in die Schule anmelden?
    Mit freundlichen Grüßen
    Frau Reiner

    • Sehr geehrte Frau Reiner!

      Da können wir ihnen leider auch nicht weiterhelfen. Fragen sie doch mal bei den ganzen Schüler:innen-Austauschorganisationen an.

  • Oleander, das ist nicht in Ordnung, was Sie hier schreiben.

    Im Artikel berichten Menschen mit Behinderung aus Japan von Ihren Erfahrungen, und Sie haben nichts besser zu tun, als die folgerichtigen Schlüsse abzustreiten?

    Der kulturelle Kontext ist wichtig: Japan hat schon lange ein Problem mit sexueller Nötigung und Missbrauch. Frauen besser zu schützen sollte da eine Selbstverständlichkeit sein. Sollten gerade Frauen mit Behinderung die Lage dort nicht am besten einschätzen können? Daher kommt immerhin das „Selbst“ in „Selbstbestimmt leben“.

    Ihre eigene Einstellung zum Thema Selbstbestimmung liest man so gut raus. Sie nehmen die Probleme dieser Menschen nicht ernst; im Gegenteil: Sie wirken übergriffig.

  • Ich finde es schon steil, für die Geschlechtswahl als Präventivmaßnahme gegen sexuelle Gewalt bei persönlicher Assistenz zu argumentieren. Und den Stuss kann man nicht mal mit der Statistik rechtfertigen. Ich möchte daran erinnern, dass auch das andere Geschlecht als Täterin in Erscheinung getreten ist. Zum Beispiel als Mutter eines gewissen Etablissements, in das Kinder- und Behindertenheime gern umfunktioniert wurden. Die zuständigen Entscheidungsträger konnten sich selbst vor Ort ein Bild machen, weshalb die Akten zur Entsorgung freigegeben wurden und eine Verurteilung unnötig geworden ist.
    Gesteigert wird die Absurdität nur noch durch die Betonung des biologischen Geschlechts. Nähme man den Genderkram ernst, müsste die differenz irrelevant sein. Im Gegenteil, relevant wäre nur das rechtliche Geschlecht. Jegliche Rückfrage, welches Geschlecht angegeben wurde, wäre logischerweise diskriminierend und somit unzulässig. Ist es auch, aber daran halten sich die Assistenzeinrichtungen nicht.
    Aber Diskriminieren ist schon gut und wichtig, wenns um den eigenen A geht. Roberta mit Bart gehört auf das HerrenWC, denn eigentlich ist er noch immer ein Robert, der potenziell über alles herfällt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Was ist schon ein Strafregisterauszug im Vergleich zur eigenen, unfehlbaren Erfahrung?

    In diesem Punkt handelt Japan folgerichtig und konsequent. Sexuelle Gewalt bekämpft man nicht mit Diskriminierung, unabhängig davon, ob man den seltsamen Gendertheorien anhängt oder nicht – außer vielleicht in Ländern, in denen man das Opfer beschuldigt, die Tat ermöglicht zu haben durch die falsche Kleidung, durch die Anwesenheit zur falschen Zeit am falschen Ort und durch die Wahl des falschen Geschlechts.