Inklusiver Sozialabbau: „Dominoeffekt“ bei Kürzung der Mindestsicherung

Die immer lauter werdenden Forderungen nach Kürzungen von Sozialleistungen für AsylwerberInnen und Flüchtlinge werden häufig mit dem Argument begründet, „unsere" Sozialsysteme wären sonst überfordert und die hohen Sozialstandards für „uns ÖsterreicherInnen" in Gefahr.

Dominoeffekt
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Das Land Niederösterreich hat nun in aller Deutlichkeit vorgeführt, dass das Gegenteil der Fall ist: wer auf Unterstützung angewiesene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielt, erntet letztlich Sozialabbau für alle.

So hat der niederösterreichische Landtag mit der Änderung des NÖ Mindestsicherungsgesetz neben der dramatischen Kürzung von Sozialleistungen für subsidiär Schutzberechtigte gleich auch die faktische Streichung der Wohnbeihilfe für die BezieherInnen einer Mindestsicherung mitbeschlossen.

Für subsidiär Schutzbedürftige, denen es nicht gelingt, sofort eine Arbeit zu finden, bedeutet dies faktisch Integrationsverweigerung durch den Staat, Obdachlosigkeit und ein Leben im Elend.

Für Menschen mit Behinderung, die als arbeitsunfähig qualifiziert werden bzw. keine Chance haben einer Erwerbsarbeit nachzugehen, heißt das: bleibt in den – in Niederösterreich ja nach wie vor weit verbreiteten – Großinstitutionen, weil eine eigene Wohnung werde ihr euch ohnehin nie leisten können.

Dass das neue Gesetz im Widerspruch zur laufenden VfGH-Judikatur steht bleibt dabei genauso außeracht, wie der offensichtliche Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (siehe dazu auch die ausgezeichnete Stellungnahme des Vertretungsnetzes zum Gesetzesentwurf). Dumpfer Populismus schlägt dabei auch immer noch volkswirtschaftliche Vernunft, ist doch die Betreuung von Menschen mit Behinderung in Institutionen um ein vielfaches teurer als in ambulanten Settings.

Die Wiener Politik hat uns bis dato solche Entwicklungen erfreulicherweise weitestgehend erspart. Die klare Haltung von Stadträtin Sonja Wehsely und Flüchtlingskoordinator Peter Hacker beweist, dass es noch PolitikerInnen gibt, die ihre Gesinnung nicht ausschließlich am Boulevard orientieren.

Bleibt zu hoffen, dass das auch so bleibt, steigt doch der Druck von Oppositionsparteien, manchen Bundesländern, aber auch innerhalb der SPÖ, sich populistisch einem neoliberalen und menschenrechtsfeindlichen Mainstream anzupassen, ständig an.

So gibt es auch in Wien Entwicklungen, die tendenziell auf ein Auseinanderdividieren von „Randgruppen“ hindeuten, etwa die verschärften Zugangskriterien bei der sozialen Wohnungsvergabe. Auch hier besteht die Gefahr, dass immer mehr Menschen in die institutionelle Wohnungslosenhilfe gedrängt werden und leistbarer Wohnraum zum Luxus wird.

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2 Kommentare

  • Fakten zum „Sprung in die eigene Wohnung“: in Wien leben fast 1.600 Menschen mit intellektueller und Mehrfachbehinderung in ihren eigenen, selbst angemieteten Wohnungen. Sie können bei Bedarf Wohnbeihilfe beziehen. Sie werden mobil unterstützt und verfügen über ihr eigenes Einkommen. Das wird vom Land seit Jahren gefördert und ausgebaut. Die „bösen“ Institutionen tragen es mit und stellen die mobile Betreuung. Nur mehr etwa 1.500 MmB leben in Wien in vollbetreuten Wohngemeinschaften. Diese WG’s sind weitestgehend kleine gemeinwesenintegrierte Einheiten. Wie schaut’s aber in NÖ aus? Dort können nur etwa 300 – 400 Menschen mit Behinderung in ihren eigenen Wohnungen mit mobiler Wohnassistenz leben. Wohnbeihilfe gibts für MmB nicht. (siehe Artikel oben) Etwa 2.200 MmB leben in vollbetreuten Einrichtungen davon 12% immer noch in Pflegeheimen und über 3.500 MmB leben bei ihren Angehörigen weil es dazu meißt gar keine Alternative gibt. Fazit im Vergleich: Selbstbestimmung geht, wenn man es nur will. (und ja: es kostet auch weniger)

  • Meiner Meinung nach haben viele der Institutionen ohnehin nicht das Ziel, die Selbstbestimmung ihrer Kund_innen zu unterstützen und zu fördern.

    Für mich macht es den Eindruck, dass der eigentliche Zweck die Absonderung von Menschen zu bewirken – so ’stören‘ sie nicht. Sie dann finanziell möglichst kurz zu halten ist nur eine logische Folge. Das Interesse, die Personen beim Sprung in eine eigene Wohnung zu unterstützen, habe ich bis jetzt nur in homöopathischen Dosen wahrgenommen.

    Das Wort ‚Kundenbindung‘ bekommt da einen säuerlichen Beigeschmack.