Buchtipp: Basale Lernbedürfnisse im inklusiven Unterricht. Ein Praxisbeispiel aus der Grundschule.

Sandra´s Volksschulzeit – eine Geschichte gelebter Inklusion

Basale Lernbedürfnisse im inklusiven Unterricht: Ein Praxisbericht aus der Grundschule
Verlag Klinkhardt

„Ich glaube, sie war immer und überall dabei. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir sie jemals irgendwo zurückgelassen haben.“

Gemeint ist Sandra, ein Mädchen mit basalen Lernbedürfnissen, das von 1999 bis 2003 die Volksschule Wiener Neudorf besuchte, und eine ihrer ehemaligen Mitschülerinnen aus der Volksschulzeit erinnert sich zurück.

12 Jahre später wird Sandras Geschichte publiziert, die Geschichte einer gelungenen schulischen Integration. Sandras Grundschullehrerinnen waren davon überzeugt, „dass es keine Grenzen der Integration gibt, nur falsche oder schlechte Rahmenbedingungen.“

Rahmenbedingungen

Die Rahmenbedingungen, die Sandras Teilnahme am Schulalltag in den vier Volksschuljahren in Wiener Neudorf ermöglichte, und die Organisation des Unterrichts in ihrer Klasse werden im ersten Teil der Publikation ausführlich erläutert. Darüber hinaus kommen jene Menschen zu Wort, die Sandra ein Stück ihres Lebens, während ihrer Volksschulzeit, begleitet haben – Sandras Lehrerinnen, Unterstützerinnen, Therapeutinnen und ehemalige MitschülerInnen.

Claudia Müller, Sandras Lehrerin in den Jahren 1999 bis 2003 und Mit-Herausgeberin dieses Buches, hat in wöchentlichen Verlaufsaufzeichnungen Sandras Schulalltag festgehalten.

Diese Aufzeichnungen, wie auch alle anderen im Buch festgehaltenen Erinnerungen an Sandras Schulzeit machen deutlich, was Inklusion bedeutet: Inklusion ist ein Prozess, ein Ausprobieren von Möglichkeiten, ein sich Einlassen auf das Hier und Jetzt und ein achtsames Umgehen miteinander.

Alle kommunizieren gut

Sandras Physiotherapeutin beschreibt es folgendermaßen: „… Alle kommunizieren gut miteinander: die Lehrerinnen, Sandras Helferin und ihre Mutter. Sandras Integration in der Schule habe ich überhaupt nicht anstrengend erlebt, es war einfach selbstverständlich. Ein großes, die Integration unterstützendes Netzwerk hat alles getragen.“

Inklusion heißt aber auch, gemeinsam schwierige Zeiten auszuhalten und unerwartete Situationen oder Probleme zu bewältigen. Dass sich dieses Aushalten schwieriger Zeiten auch auszahlt, wird in dem Buch und durch Sandras Geschichte eindrücklich vermittelt.

In Sandras erster Schulwoche, zu Beginn des zweiten Schuljahrs, hält die Lehrerin Claudia Müller in ihren Aufzeichnungen Sandras Interaktion mit einer Mitschülerin folgendermaßen fest: „… Sandras Kontakt zu Teresa funktioniert wieder toll. Teresa kniet sich vor Sandra hin und beginnt auf ihre Art zu erzählen. Dabei kommt sie Sandras Gesicht ganz nahe. Teresa spricht laut und lebhaft, sie betont einzelne Silben besonders und strahlt viel Freude und Wärme aus, was ihrer Freundin sehr gefällt. Den Inhalt des Gesagten verstehen meist nur die beiden und Sandra kann sich schütteln vor Lachen.“

Und Doris, Sandras Stützkraft in den ersten drei Grundschuljahren, erzählt: „Am wichtigsten habe ich immer das Empfangen in der Früh gefunden. … Sie ist meistens lethargisch im Sessel sitzend hereingekommen, dann hat sie gemerkt, sie ist da, und hat sofort aufgemacht: Sie hat die Hände auseinandergegeben, die Füße entkrampft, sich dann wieder angespannt und gelacht. Das war ihr Morgenritual, um zu sagen: Ich bin da.“

ExpertInnen in Lehre und Forschung inklusiver Pädagogik

Im zweiten Teil der Publikation wird Sandras Geschichte von fünf ExpertInnen in Lehre und Forschung inklusiver Pädagogik aufgegriffen und mit Erläuterungen auf fachlich-theoretischer Ebene verknüpft:

Wenn Corinna Wolffhardt das Konzept der Basalen Stimulation erklärt und das Wesen basaler Begleitung erläutert oder Volker Schönwiese auf die Qualität und Notwendigkeit eines vielfältigen Dialogs in der inklusiven Pädagogik verweist, wird die Leserin/der Leser immer wieder zurückerinnert an eben erst gelesene Einzelheiten, Situationen oder Begebenheiten aus Sandras Grundschuljahren. Wolffhardt erklärt: „Unter vorbehaltloser Annahme von Entwicklungsfähigkeit werden Bedingungen gestaltet, die die Betroffenen Menschen anregen und unterstützen, ihr individuelles Potential und ihre Ressourcen zu erhalten und weiter zu entfalten.“

Sandras Geschichte erzählt von dieser Haltung aller Beteiligten in ihrem Umfeld und gilt – wie Claudia Niedermair in ihrem Beitrag ausführt  – „als Beleg und Beweis dafür, dass gemeinsames Lernen uneingeschränkt ermöglicht werden kann ….“ Niedermair benennt Lehrpersonen und deren Überzeugungen – „beliefs“ – „als tragende Säulen der Inklusion“.

Ines Boban und Andreas Hinz wiederum beschreiben das achtsame Miteinander und das gemeinsame Erarbeiten von Möglichkeiten als wesentlich für Inklusion. „Es ist das Zusammen-ein-Schulleben-Entwickeln selbst, das zum with, zum gemeinsamen Gegenstand wird.“

Fazit

Die beiden Herausgeberinnen, Petra Flieger und Claudia Müller, stellen mit ihrer Publikation ein in zweifacher Hinsicht bemerkens- und lesenswertes Buch vor: Es ist einerseits ein Plädoyer für inklusiven Unterricht und eine praxisorientierte Handreichung und Ermutigung zur Nicht-Aussonderung von SchülerInnen mit basalen Lernbedürfnissen.

Zum anderen macht dieses Buch deutlich, dass Inklusion nicht teilbar ist. Sandras Geschichte ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration von Kindern mit hohem Unterstützungsbedarf und gibt gleichzeitig auch eine unumstößliche Antwort auf die Frage: „Inklusion ja, aber wirklich für alle?“

Petra Flieger, Claudia Müller (Hrsg.): Basale Lernbedürfnisse im inklusiven Unterricht. Ein Praxisbeispiel aus der Grundschule. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2016.

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