Wiener Mindestsicherung: Änderungsentwurf von Schwächen befreien

Die abschließenden Beratungen zur Beschlussfassung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes Ende November 2017 sollten jedenfalls dazu genutzt werden, den eingeschlagenen positiven Weg bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen weiterzuführen.

Wiener Gemeinderat und Landtag - Sitzungssaal
PID / Markus Wache

In den stürmischen Zeiten heftiger Kürzungsdebatten im Sozialbereich gelang der rot-grünen Regierungsmehrheit in Wien mit der vorliegenden Novelle zur Wiener Mindestsicherung ein beachtliches Signal.

Positive Aspekte stehen im Vordergrund: Grundsätzlich ist die Tatsache, dass keine signifikanten Verschlechterungen für LeistungsbezieherInnen geplant werden, kein Grund für ein positives Erwähnen einer Novelle.

Bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) stellt sich dies nach dem Ausscheren von Ober- und Niederösterreich von der Bund-Ländervereinbarung anders dar: Denn ohne gemeinsamer vertraglicher Basis folgten die meisten Bundesländer dem Trend der Leistungskürzung.

Nur in Salzburg und Wien sahen die Verantwortlichen keine Notwendigkeit für massive Einschränkungen. Doch gerade wegen der gestiegenen Zahl der BMS-BezieherInnen in Wien stieg der Druck. Nach dem Entwurf zu urteilen, ist es gelungen, dem Nivellierungsdruck der Leistungskürzung mit einem ambitionierten Entwurf zu begegnen.

Für Menschen mit Beeinträchtigungen ist die Beendigung der Anrechnung von Pflegegeld bei der Bemessung von Mindestsicherungsleistungen ein großer Fortschritt. Dadurch erhöhen sich die monatlich zur Verfügung stehenden Mittel und ermöglichen eine bessere Abdeckung von behindertenspezifischen Mehraufwendungen.

Konsequenterweise sind nun auch Schmerzensgelder und Entschädigungszahlungen – beispielsweise im Zuge der Heimskandale – von einer Anrechnung ausgenommen.

Als Ausnahme unter den Bundesländern wird Wien Sonderzahlungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und PensionistInnen im Regelpensionsalter auch in Zukunft gewähren, wenn kein eigener Anspruch erworben werden konnte.

Menschenwürdiges Leben

Die Zielbestimmung des neuen Gesetzes, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden, wurde nun dahingehend verändert, dass nicht mehr das Führen eines menschenwürdigen Lebens im Mittelpunkt der Unterstützung steht, sondern der deutlich schwächere Begriff der Existenzsicherung den Rahmen vorgibt.

Die bloße Sicherung der existenziellen Bedürfnisse war im alten Fürsorgerecht verankert und stellt daher einen Rückschritt dar. Menschenrechtsaspekte müssen eher mehr als weniger berücksichtigt werden.

Kleine Änderungen senden auch Signale: So wurde aus der bisherigen BMS – die sich an dem Bund-Länder-Vertrag orientierte – die neue Wiener Mindestsicherung. Die Orientierung am konkreten Bedarf der notwendigen Unterstützung und Hilfe wird nicht mehr in den Vordergrund gestellt, sondern der Umsetzung einzelner Bestimmungen überantwortet.

Verschlechterung bei Zugang zu erweitertem Mindeststandard

Mit neuen Regelungen soll das Ziel eines raschen Ausstieges aus der BMS durch Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt besser unterstützt werden. In der Abgrenzung der Personengruppen, die dem Arbeitsmarkt im Sinn des gesetzlich vorgeschriebenen Einsatzes der eigenen Arbeitskraft, zur Verfügung stehen und widrigenfalls mit Sanktionen rechnen müssen, stehen nun auch Menschen mit Beeinträchtigungen vor neuen Hürden:

Der Zugang zum „Mindeststandard für arbeitsunfähige Personen“ mit höheren Leistungen, wird erschwert. Bisher konnte bei mindestens 12-monatiger Arbeitsunfähigkeit der erhöhte Mindeststandard beantragt werden. Im vorliegenden Entwurf wird nun von „dauerhafter Erwerbsunfähigkeit“ gesprochen.

Durch dieses Anheben der Zugangsschwelle besteht für alle Personen einer neuen Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension die Gefahr, dass der Nachweis der „dauerhaften“ Erwerbsunfähigkeit nicht mehr gelingt.

Vor dem Regelpensionsalter werden diese Pensionen nur mehr gewährt, wenn „voraussichtlich dauerhaft“ von Erwerbsunfähigkeit auszugehen ist. Der Pensionsbescheid genügt damit nicht mehr als Nachweis für die Zuerkennung des höheren Mindeststandards. Zur Abklärung kann ein stadteigenes ärztliches Prüfverfahren notwendig werden. Die angestrebte bessere Koordination zwischen verschiedenen bundes- und landesgesetzlichen Gutachten wird damit unterlaufen.

Junge Erwachsene durch Sanktionen motivieren?

Mit verschiedenen Maßnahmen, die sich auch im neuen Gesetz widerspiegeln, versucht die Stadt Wien, insbesondere für junge Erwachsene, Anreize für eine möglichst rasche Rückkehr oder überhaupt den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen.

Im Mindestsicherungsgesetz wird diesem Ziel leider durch Kürzungsmaßnahmen Rechnung getragen. Erwachsenen Menschen bis zum 25. Lebensjahr, die weder eine Arbeitsstelle noch einen Ausbildungsplatz haben und sich nicht in einer Schulungsmaßnahme befinden, wird künftig ein um ein Viertel niedrigerer Mindeststandard gewährt.

Diese Einstufung ist unverständlich und verfolgt nur scheinbar das Ziel besserer Eingliederung. Die allgemeinen Verfahrensregeln sehen verbindlich eine Prüfung der Arbeitswilligkeit vor, die hier im rechtsstaatlichen Sinn fehlt.

Für Menschen mit psychischen oder intellektuellen Beeinträchtigungen – ob als junge Erwachsene oder auch später –  ist das Beweisverfahren eine wichtige und erforderliche Chance, um ihre speziellen Umstände darzulegen. Dies kann auch eine gesetzliche Vertretung oder professionelle Unterstützung erfordern.

Wichtiges Gesetzesvorhaben noch abrunden

Die abschließenden Beratungen zur Beschlussfassung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes Ende November 2017 sollten jedenfalls dazu genutzt werden, den eingeschlagenen positiven Weg bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen weiterzuführen. Daher sollten die Interessenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen entsprechend abgesichert und verbessert werden.

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3 Kommentare

  • Das VertretungsNetz Wien hat dankenswerter Weise eine deutlich kritischere Stellungnahme als Herr Kammelhofer abgegeben!

  • Aktive Arbeitslose Österreich haben vor, eine Online-Petition gegen die vorgesehenen Verschlechterungen zu starten, unterstützende Organisationen die die Petition mittragen wollen sind uns willkommen!

  • Diese positive Beurteilung können wir in keinster Weise nachvollziehen. Im Entwurf sind aber auch viele Verschlechterungen wie die Verschärfung der massiven strukturellen Gewalt durch das Sanktionenregime und dass der Umfang der Zwangsmaßnahmen die mit Sanktionen erzwungen werden sollen massivst ausgeweitet werden und die Gemeinde sogar alle Daten vom AMS haben will! Es sollen nicht nur Coachings und Qualifikationserhebungen, sondern auch Sozzialarbeitergespräche sowie Case Management und Zwangsreha mit der Sanktionenpeitsche erzwungen werden. Also auch „Behinderte“ laufen Gefahr in die Mühle der sinnlosen Zwangsmaßnahmen und Beschäftigungsprojekt am „zweiten Arbeitsmarkt“ zu landen!

    Aus menschenrechtlicher Sicht ein massiver Rückschritt! Nur weil beim Geldleistungsrecht ein paar Verbesserungen gemacht werden alle anderen Verschlechterung auszublenden, das ist voll unseriös und zeugt davon, von der Realität der Menschen wenig zu wissen!

    Vor allem dass die Betroffenen immer noch keine demokratische Mitsprache bekommen und nicht einmal konsultiert werden wie das ILO Übereinkommen 122 und ILO Empfehlung 202 vorsehen!

    Stellungnahme der Aktiven Arbeitslosen hoffentlich schon morgen auf unserer Homepage unter http://www.aktive-arbeitslose.at