AbilityWatch empört über Auswahlkriterien für lebensrettende Behandlung

Am 25. März 2020 verabschiedeten sieben verschiedene Fachgesellschaften in Deutschland gemeinsam Handlungsempfehlungen bezüglich der Zuteilung von Ressourcen in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie.

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Sie soll ÄrztInnen und MedizinerInnen Orientierung bei der Frage geben, welche Patienten lebensrettende Behandlungen erhalten sollen und welche nicht, falls die Kapazitäten nicht für alle PatientInnen ausreichen.

AbilityWatch ist empört über das Verhalten der Fachgesellschaften und kritisiert die aufgestellten Kriterien als medizinisch pauschalisiert und als rechtlich unhaltbar:

Die Empfehlungen stellen Kriterien auf, die einen vermeintlich schlechteren Behandlungserfolg vermuten lassen. Einige dieser Kriterien sind dabei weniger medizinisch geprägt, als vielmehr demographisch und gegen einzelne Minderheiten gerichtet. So wird explizit Gebrechlichkeit mit dem Clinical Frailty Scale erwähnt, der nur für Menschen ab 65 Jahren konzipiert und evaluiert wurde, nun aber a) unabhängig von dieser wissenschaftlichen Basis als Kriterium genannt wird und b) wie bereits in Großbritannien zu der Absurdität führt, dass Menschen aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes – welches eben keine Rückschlüsse auf Erfolgsaussichten der medizinischen Behandlung zulässt – als weniger aussichtsreich hinsichtlich der allgemeinen Maximierung von Lebensrettung angesehen werden.

Gleiches gelte für pauschale Kriterien wie “generalisierte neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen”, die in dieser Formulierung ein Spektrum abbilden, was keinesfalls als Kriterium für eine Bewertung der Erfolgsaussichten der Behandlung genutzt werden könne. In der Stellungnahme von AbilityWatch heißt es:

Im Ergebnis bedeutet dies, dass grundsätzlich und pauschal alle Menschen gewissen Alters und Behinderung – unabhängig von der patientenindividuellen Erfolgsaussicht von Behandlungen – negativ bewertet werden und so im Zweifel keine Behandlung erfahren. Andere, die Erfolgsaussichten der Behandlung erschwerende Umstände, wie beispielsweise Nikotinabusus oder Diabetes, von denen man einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung Covid-19 annimmt, werden nicht genannt und haben so keinen Einfluss auf das numerische Scoring. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier die Chance auf Behandlung davon abhängig gemacht werden soll, wieviel Wert dem Leben der betroffenen Person nach erfolgreicher Behandlung beigemessen wird, was auch an dem unspezifischen Kriterium der ‚deutlichen Einschränkung der Langzeitprognose‘ sichtbar wird.

Die Aufstellung von Algorithmen, die durch vorherbestimmte Kriterien eine Abwägung zwischen zwei Leben bzw. deren Überlebensaussichten trifft, sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, stellte AbiltyWatch klar. Auch den Fachgesellschaften und dem deutschen Ethikrat sei dies bewusst.

„Trotzdem entschieden sich die Fachgesellschaften dafür, einen solchen Algorithmus zu erstellen. Im Gegensatz zu den ausdrücklichen Mahnungen des deutschen Ethikrates auf ‚unfaire Einflüsse‘ wie ’sozialen Status, Herkunft, Alter, Behinderung‘ zu verzichten, haben die Fachgesellschaften dies explizit aufgenommen. Ein Grund dafür dürfte das Auslassen von Beratungen mit Betroffenenverbänden und Minderheitsvertretern sein. So haben an dem Papier weder der Deutsche Behindertenrat noch andere Selbstvertretungsorganisationen mitgearbeitet. Es ist schlicht unbegreiflich, wie die Fachgesellschaften einerseits immer wieder auf die Einbeziehung von Patientenperspektiven drängen und andererseits bei der für Mediziner und Betroffene gravierenden Entscheidung ohne diese Perspektive auskommen, wenn es um die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen geht, die im Zweifel pauschalisiert ganze Gruppen von Menschen von lebensrettenden Behandlungen ausschließen.“

Link zu gesamten Stellungnahme von AbilityWatch

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Ein Kommentar

  • ähnliches erwarte ich auch für österreich. nur wird man die algorithmen nicht oder erst sehr viel später erfahren. wir behinderte menschen fallen in eine art triage ob wir es wollen oder nicht. je gestresster das gesundheitssystem ist, desto schlechter für uns. daher: wir müssen öffentlich bleiben und disziplin bei den maßnahmen üben. übrigens: hat jemand etwas vom Öst. Behindertenrat gehört? Oder von ÖZIV? schlafen dort alle?