Sprengt die Ketten!

Unfassbare Zustände für psychisch erkrankte Menschen in Indonesien

Man sieht eine Person mit einer Kette angekettet.
Human Rights Watch

Bereits vor ein paar Jahren war im deutschen Fernsehen eine Dokumentation zu sehen, unter welchen Bedingungen Menschen mit psycho-sozialen Erkrankungen und Behinderungen in Indonesien leben müssen: nämlich angekettet, ohne fachgerechte medizinische Behandlung und meist völlig isoliert über viele Jahre hinweg. 

In entlegenen Dörfern am Land in Verschlägen werden sie von den eigenen, oft hilflosen Angehörigen eigesperrt oder sie müssen in überfüllten Institutionen unter katastrophalen hygienischen und menschenunwürdigen Zuständen leben.

Eklatante Menschenrechtsverletzungen

Ein 6 minütiges Youtube-Video von Human Rights Watch (Titel „Indonesia: End Shackling of People With Disabilities“) gibt einen Einblick, von welch unfassbaren Zuständen hier die Rede ist. So steht in der Filmbeschreibung: „People with psychosocial disabilities (mental health conditions) … often face physical und sexual violence, involuntary treatment including electroshock therapy, seclusion, restraint and forced contraception.“

In den Verschlägen haben die angeketteten Menschen kaum Bewegungsmöglichkeiten. Ihr ganzes Leben spielt sich rund um die Uhr auf einer winzigen Fläche ab: Schlafen, Essen, Verrichten der Notdurft, Liegen oder Sitzen. Dadurch haben die Betroffenen nicht nur zusätzliches ein schweres seelisches Trauma, sondern oft auch noch physische Schäden (z.B. Infektionen, Wundliegen).

Aus der Sichtung der vorliegenden Videos, Dokumentationen und Berichte wird klar, dass es bei sehr vielen betroffenen Menschen keine detaillierten Informationen über die tatsächliche Erkrankung, psycho-soziale oder sogenannte „geistige“ Behinderung gibt. Die Palette reicht von Depressionen, Psychosen, Schizophrenie über Behinderungen wie das Downsyndrom bis hin zu offensichtlich auch rein organischen Erkrankungen.

Einen ersten Einblick gibt auch der in deutscher Sprache vorliegender Bericht auf rollingplanet.net unter dem Titel: „Behinderte Menschen weggesperrt und gehalten wie Tiere“

Erfreulicherweise hat Human Rights Watch auch eine kurze Zusammenfassung in Leichter Sprache ins Netz gestellt. Angesichts der internationalen Arbeit der Menschenrechtsorganisation natürlich in Englisch.

Traurige Tradition des „pasung“

„Pasung“ hat in Indonesien leider eine lange Tradition. Darunter versteht man das Anketten oder Wegsperren in (kleinen) Verschlägen. Von den etwa 57.000 Menschen mit psycho-sozialen Behinderungen hat jeder zumindest schon einmal im Leben unter solchen Bedingungen für eine bestimmte Zeit leben müssen. Einige bis zu 17 Jahre!

Und das, obwohl die Regierung von Indonesien „pasung“ bereits 1977 verboten hat. Doch diese Tradition wird von Familien oft auf den Rat hin von religiösen Heilern fortgesetzt. Der Glaube an böse Geister und Dämonen ist nach wie vor stark verbreitet.

Die Regierung schätzt, dass derzeit noch immer ca. 18.800 behinderte und kranke Menschen auf diese Art und Weise ausgestoßen und isoliert werden. Nachzulesen auf Englisch  bzw. in deutscher Sprache

Human Rights Watch hat auch einen ausführlichen 86seitigen Bericht unter dem Titel „Living in Hell. Abuses against People with Psychosocial Disabilities in Indonesia“ auf seiner Homepage veröffentlicht. Nachzulesen als HTML oder als PDF.

Man sieht eine Person mit einer Kette angekettet.
Human Rights Watch

Unterstütze die Kampagne!

Human Rights Watch hat unter dem Motto „#BreakTheChains: End Shackling in Indonesia“ eine Kampagne ins Leben gerufen. Über die Möglichkeiten, diese Kampagne zu unterstützen, informiert Human Rights Watch.  Indonesien, besonders Bali, ist eine beliebte Feriendestination.

Internationalen Druck auf die Regierung Indonesiens auszuüben und seine Solidarität mit den betroffenen Menschen zu zeigen, ist zumindest für jeden, der bei uns selbst betroffen und/oder in dem Bereich tätig ist, unabdingbar. Es werden konkrete Forderungen an die indonesische Regierung gestellt. 

Ein Einzelfall? Bei uns unmöglich?

Leider nicht. So gab es in Bulgarien und Rumänien eklatante Missstände etwa in Kinder- und Behindertenheimen. Vor dem Beitritt in die EU wurden konkrete Forderungen gestellt, um die Lage zu verbessern. Im Jahr 2014 hat die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte in Rumänien noch immer Missstände und Menschenrechtsverletzungen festgestellt

Auch der kürzlich bekannt gewordene Fall in Bayern „Behinderte Kinder im Bett fixiert und eingeschlossen“, wo sogenannte „geistig“ behinderte Kinder u.a. in „Kastenbetten“ gesperrt wurden, zeigt, dass es auch bei uns noch immer Missstände gibt.

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2 Kommentare

  • Ich erlaube mir doch auf die Situation in Österreich hinzuweisen, mit aktuellen Beispielen aus Tirol. Natürlich werden heutzutage nicht mehr Menschen in der Psychiatrie angekettet, auch die Käfighaltung in Netzbetten ist seit einem Jahr verboten. Auch die hygienischen Verhältnisse und das Essen ist perfekt. Die Persönlichkeits und Freiheitsrechte werden dagegen weniger respektiert. Tirol liegt fast an der Spitze der Unterbringungen in der Psychiatrie in Europa. Ist die Fixierung, das Anbinden mit weichen gepolsterten 5 Gurten über mehrere Tage und zur Schaustellung menschenwürdig, noch dazu dass der Patient daran verstarb (2009)? Ist die subtile Sedierung mit hochpotenten Psychopharmaka menschenwürdig, noch dazu die Patientin an dieser Vergiftung verstarb im Jahre 2011? In 80% der Todesfälle in der Psychiatrie sind die mechanische( Anbinden mit Gurten)und medikamentöse Fixierung (Einspritzen mit Psychopharmaka bzw. Freiheitsbeschränkung selbst für den Tod verantwortlich. Ist die Psychiatrie ein Ort zum Wohnen, wenn ein Mann im Jahre 2013 erst durch die Volksanwaltschaft befreit werden konnte, nachdem er dort fast sein ganzes Leben verbringen musste. Ist es menschenwürdig, wenn ein sog. “ geistig behinderter“ 14 jähriger in der Forensik weg gesperrt wird, weil keine extramurale Betreuung angeboten wird (2014)? Ist es menschenwürdig, dass ein 11 jähriges Kind in der Erwachsenen Psychiatrie eingesperrt werden muss (2015).

    • Können sie die Beispiele in Tirol näher ausführen, bzw. gibt es konkrete Beweise die in eine Diskussion aufgenommen werden könnten?
      MfG
      Info bitte an:
      neuner@tirol.one