Wie kann man dem Ableismus entkommen?

Das Buch "Behinderung und Ableismus" von Andrea Schöne behandelt die Hintergründe von Leistung als Voraussetzung für Akzeptanz und Anerkennung in der Gesellschaft und was es bedeutet, mit abwertender Sprache, Mitleid und falscher Bewunderung umgehen zu müssen.

Podcast Echt behindert!
Deutsche Welle

Im Podcast „Echt behindert!“ diskutiert Journalistin und Autorin Andrea Schöne über ihr Buch „Behinderung und Ableismus“, das eigene Erfahrungen schildert, einen Leitfaden im Umgang mit Ableismus enthält, aber auch Ableismus als strukturelles Problem aufzeigt.

Was es mit dem Ableismus auf sich hat

Ableismus ist als Begriff im Rahmen der Behindertenrechtsbewegung im englischsprachigen Raum entstanden. Andrea Schöne definiert Ableismus als geschlossenes Denk- und Wertesystem, das sich in Form von positiven und negativen Zuschreibungen in der Sprache, Lebensweisen und anderen Lebensbereichen äußert.

Im Kern geht es darum, die Leistungsfähigkeit einer Person in den Vordergrund zu stellen, also die Fähigkeit, etwas tun zu können. Fähigkeiten wie Sehen, Hören oder Gehen werden als essenziell und Norm betrachtet.  

Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff noch relativ jung. Oft wird hier noch der Begriff „Behindertenfeindlichkeit“ benutzt, was aber in Wirklichkeit nur ein Teil von „Ableismus“ ist.

Behindertenfeindlichkeit äußert sich oft in Form von verbaler, psychischer und physischer Gewalt gegenüber behinderten Menschen, was bei Ableismus nicht der Fall sein muss.

Ableismus mit seinen vielen Gesichtern

Ableismen können auch gut gemeinte Kommentare sein. Zum Beispiel, wenn behinderte Menschen Lob für das Erledigen von ganz alltäglichen Dingen bekommen. Das zeigt einerseits, dass nicht-behinderte Menschen oft wenig Kontakt zu behinderten Menschen haben, andererseits oft auch zu wissen meinen, wie das Leben von behinderten Menschen ausschaut. 

Schöne erzählt in ihrem Buch auch über eigene Erfahrungen und erwähnt den Bereich der Infrastruktur, wo einem gleich auffallen würde, dass Aufzüge nachträglich eingebaut wurden, wenn man über die Treppe woanders hingelangt als mit dem Aufzug.

Das Thema inklusive Schule wird in Deutschland ebenfalls seit 10 Jahren stark diskutiert, während es in Italien z.B. fast keine Behindertenschulen gäbe und dies Begegnungen fördere. Zudem gibt es auch Wörter, die sich eingebürgert haben, aber ableistisch sind, wie „Idiot“ oder „dumm“ als Abwertung.

Kann man dem Ableismus entrinnen?

Ableismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Schöne beschreibt in ihrem Buch auch, wie der Leistungsdruck bei immer mehr Menschen Burnout verursacht, was auch auf nicht-behinderte Menschen zutrifft. In diesem Sinne sollte man eine Selbstdefinition über die Leistungsfähigkeit hinterfragen.

Schöne schildert auch, dass Ableismus im Alltag so oft vorkommt, oft gar nicht gleich erkannt wird und man häufig das Gefühl hat, Ableismus einfach akzeptieren zu müssen. Hierbei müsse man jedoch nur für sich selbst entscheiden, wo der eigene Wirkungskreis liegt, um nicht zu verzweifeln oder sich selbst runterzumachen.

Wenn man sich alles zu Herzen nehmen würde und sich über alles ärgert, könne das zu einer pessimistischen Grundeinstellung oder zu internalisiertem Ableismus führen. Internalisierter Ableismus bedeutet, dass auch behinderte Menschen, ableistischen Sprachgebrauch und Lebensweisen verinnerlicht haben. Das äußert sich beispielsweise in empfundener Scham, wenn man bei gewissen Dingen nach Hilfe fragt oder sich selbst als Belastung wahrnimmt.

Abschließend gibt es einen Leitfaden zur Entlarvung von Ableismen bei sich selbst und anderen.

Das Buch ist beim Verlag Unrast und bei Amazon erhältlich.

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5 Kommentare

  • Ich habe 45 Jahre in Behinderteneinrichtungen der Kantone Bern, Schaffhausen und Thurgau gearbeitet. Schwerpunkt war dabei die Arbeit mit mehrfach schwerbehinderten Menschen. Dass Menschen mit unzureichenden Persönlichkeitsmerkmalen für die Teilhabe an der Leistungs- und Erwerbsgesellschaft abgewertet waren, sind und werden, ist kaum zu bestreiten. Was macht es ansonsten für einen Sinn Wertschöpfungen wie Behinderung, Krankheit, Störungen, Auffälligkeit, besonderer Bildungsanspruch und vieles mehr zu schaffen. Falls die Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft ernsthaft sein sollte, müssen alle kategorisierten Begriffe mit der Zeit aus dem sprachlichen Alltagsgebrauch gefiltert werden. Schliesslich gibt es keine mit Eigenschaftswörter beschriebenen Bürgerinnen und Bürger, sondern ausschliesslich Bürgerinnen und Bürger.

  • Sehr treffend beschrieben,für mich doch auch neu,seit ca.2 Monaten Querschnitt Lähmung ab Becken,musste in „Pflegeheim“,vorher stets selbstständig,bin 75 J.,muss mich daran erst „gewöhnen,nicht Scham zu empfinden,um Hilfe zu bitten,sich „richtig“ zu artikulieren!?

  • In Österreich haben wir zudem das Problem, dass Behindertenorganisationen, wie z.B. der Blindenverband oder die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen, gezielt Ableismus für Spendenwerbung nutzen.

  • Liebe Timea Rebstock, empfiehlst Du das Buch?

    • Lieber Volker,

      ja, kann ich. Ich finde, das Buch bietet einen guten Überblick über das Thema.