Lohn statt Taschengeld – von Almosen zu gerechter Bezahlung?

In Österreich gelten 28.000 Menschen mit Behinderungen „arbeitsunfähig“. Behinderte Personen, die in Werkstätten arbeiten, erhalten nur ein Taschengeld statt Lohn und sind somit weder sozial- noch pensionsversichert. Am 12. Dezember 2023 fand in Wien die Präsentation der Ergebnisse zum Forschungsprojekt Lohn statt Taschengeld statt.

Studie Lohn statt Taschengeld von Christian Grünhaus, Selma Sprajcer und Benedikt Nutzinger von der WU Wien
WU Wien

Das aktuelle Regierungsprogramm 2020-2024 der Bundesregierung aus ÖVP und GRÜNEN beinhaltet, dass Menschen mit Behinderungen, welche in Tages- und Beschäftigungsstrukturen arbeiten, in Zukunft eine faire Entlohnung bekommen und sozialversichert sein sollen.

Die derzeitige Situation verstößt gegen Art. 27 der in Österreich 2008 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention, die besagt, dass Menschen mit Behinderung ein Recht auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen haben. Das schließt die Möglichkeit ein, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die frei gewählt oder frei angenommen wird.

Derzeit sind Menschen mit Behinderungen, die als arbeitsunfähig gelten, meist in Tages- und Beschäftigungsstrukturen, wie beispielsweise in Werkstätten beschäftigt. Die Bezahlung dafür ist jedoch mehr als mager, denn obwohl die berufliche Teilhabe in der Kompetenz des Bundes liegt, sind für tagesstrukturelle Einrichtungen und die Vergütung der Leistungen die Bundesländer zuständig.

So müssen diese durch den Bezug von Einkommensersatzleistungen und Sachleistungen der Sozialhilfe der Länder ihr Leben finanzieren. Es gibt bereits ein paar Pilotprojekte, durch die Menschen mit Behinderung von einer Werkstätte auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen sollen.

Pilotprojekt in Kärnten

Das Land Kärnten startete im Herbst 2023 mit der Lebenshilfe Kärnten das Projekt „Reallabor – Lohn statt Taschengeld“ für Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten tätig sind. 20 Bewerber:innen sollten im Herbst 2023 einen Job  auf dem ersten Arbeitsmarkt ausüben. BIZEPS berichtete ausführlich.

Das Projekt ist vorerst auf zwei Jahre ausgelegt und wird unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt und anschließend evaluiert. Unterstützt werden die Teilnehmer:innen von der Lebenshilfe Kärnten. Das Budget für das Pilotprojekt kommt vom Referat Chancengleichheit des Landes Kärnten und von Fördergeldern der Europäischen Union.

Die 20 Teilnehmer:innen werden für jeweils 19 Wochenstunden beschäftigt und gemäß dem Kollektivvertrag „Sozialwirtschaft Österreich“ entlohnt.

Forschungsprojekt der WU zu Lohn statt Taschengeld

Studie Lohn statt Taschengeld von Christian Grünhaus, Selma Sprajcer und Benedikt Nutzinger von der WU Wien
WU Wien

Am 12. Dezember 2023 fand in der WU Wien die Präsentation zum Forschungsprojekt Lohn statt Taschengeld statt. Ziel des Forschungsprojekts ist es, den gegenwärtigen Stand zur Einkommenssituation der Zielgruppe darzustellen, d.h. für jene Personen, die gem. § 8 Abs 1 Z 3 lit. m ASVG teilversichert sind.

Ebenso soll aufgezeigt werden, welche Einnahmen und Ausgaben hier für das Land, den Bund und die Träger im Vergleich zur jetzigen Situation entstehen.

Der Untersuchungszeitraum begann mit dem Stichtag 1. Jänner 2021 und wurde bis 2075 festgelegt. Die Stichprobe bildeten Personen ab 15 Jahren, also dem durchschnittlichen Eintritt in eine Tagesstruktur, bis 65 Jahren aufwärts, gleichbedeutend mit dem durchschnittlichen Pensionsantritt. Das festgelegte Gehalt für 40 Wochenstunden wurde mit etwa 1200 Euro brutto angesetzt.

Ergebnisse der Projektpräsentation

Martin Kocher, Johannes Rauch, Christian Grünhaus und Selma Sprajcer bei der Präsentation der Studie: Lohn statt Taschengeld
Österreichischer Behindertenrat

Menschen mit Behinderung haben hochgerechnet auf die 55 Jahre 3,3 Mrd. Euro mehr Einkommen. Ebenfalls steigt die Sozialversicherung mit rund 11,5 Mrd. Euro für den Zeitraum sehr positiv aus. 

Eine Umstellung der Kostenübernahme auf den Bund würde sich wahrscheinlich ebenfalls minimal positiv auswirken, wenn die finanzielle Gesamtbelastung nicht auf derselbigen liegt. 

Laut Berechnungen würde sich für die Träger nichts ändern und die Länder hätten die größte finanzielle Belastung für die Entlohnung der Menschen mit Behinderungen in den Tages- und Beschäftigungsstrukturen.

Eine Umstellung in Richtung sozialversicherungsrechtlichem Entgelt für Menschen mit Behinderung würde auch zu Einsparungen bei der Sozialversicherung führen.

Fazit

Das Resümee für das vorgestellte Projekt ist ernüchternd. Denn einerseits würde die Umsetzung vermutlich erst nach Ende der derzeitigen Regierungsperiode (2020-2024) erfolgen, andererseits sieht es keine Förderung von Menschen mit Behinderung auf dem realen Arbeitsmarkt vor, bezieht keine sozial- und arbeitsrechtlichen Bedingungen ein, setzt das Gehalt mit knapp 1200 Euro brutto für 40 Wochenstunden viel zu gering an und entbehrt einer realen finanziellen Lebensgestaltung.

In den Werkstätten erfolgt oft auch eine ungenügende Einhaltung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen, wie z.B. Urlaubsanspruch. Wie dies nun mit einem Lohn statt Taschengeld geändert werden soll, ist nicht geklärt. Natürlich ist es ein Anfang, Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten, besser zu entlohnen, jedoch sollte dies noch genauer betrachtet und evaluiert werden, um eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. 

Link zur Studie

Pressekonferenz zur Studie

Der Österreichische Behindertenrat hat die Pressekonferenz bei der Präsentation der Studie „Lohn statt Taschengeld“ aufgezeichnet. An der Pressekonferenz nahmen unter andern Arbeitsminister Martin Kocher, Sozialminister Johannes Rauch, Christian Grünhaus und Selma Sprajcer (beide von der WU Wien) sowie ÖBR-Präsident Klaus Widl teil. Siehe Video:

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2 Kommentare

  • Gibt es beim Pilotprojekt in Kärnten einen Grund, warum die Anstellung mit 19 Stunden pro Woche erfolgt (eine ungewöhnliche Stundenanzahl)?

  • Es ist meiner Ansicht nach sehr wichtig, zu evaluieren, wieviel Gewinn jene Unternehmen – teilweise schon seit vielen Jahren – lukrieren und lukrierten, die diese Ungleichstellungsstrategie nutzen. Und wie die politischen Verflechtungen aussehen, die jene Strategie erst möglich machten.